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Claim the Space

Claim the Space ist ein autonomes feministisches Bündnis, in welchem sich verschiedene Personen und Kollektive vernetzen, um in einer kollektiven Praxis patriarchale Gewalt im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Die Vernetzung hat es sich zur Aufgabe gemacht, keinen Femi(ni)zid mehr unbeantwortet zu lassen. Seit Juli 2020 werden nach jedem Mord an einer FLINTA+ Person (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans oder agender Person), Kundgebungen auf dem ehemaligen Karlsplatz organisiert. Unter dem Slogan “ Nehmt ihr uns eine*, antworten wir alle“ gehen wir auf die Straße und drücken so unsere Wut über Femi(ni)zide und patriarchale Gewalt aus. An jedem 8. des Monats findet ein offenes feministisches Treffen statt, das zum Austausch und Vernetzung einlädt – offen für FLINTA+.

Kontaktiert uns unter: gegenfeminizide1@riseup.net oder auf den Social Media Kanälen, der in der Vernetzung aktiven Kollektive:

Ni Una Menos Austria
AG Feministischer Streik
Kollektiv Lauter
Kollektiv Antikoloniale Interventionen
Europäische Frauensolidarität
Yeni Kadin
SKB Avusturya
Hispano Feministas
Women Defend Rojava Wien
Ciocia Wienia
Verein Simone
Die Sirenen
Alerta Feminista

Irmtraut Karlsson – „Ich habe mich damals schon unbeliebt gemacht, indem ich gesagt habe, dass die Frauenmorde des angesehenen Österreichers nicht gezählt werden.“

Irmtraut Karlsson begründete gemeinsam mit Johanna Dohnal das erste Frauenhaus in Wien. Sie wuchs in der Kultur des Roten Wiens auf. Themen, die sie beschäftigten waren die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, Gewalt gegen Frauen, sowie die Rolle der Frau im Antifaschismus. Politisch engagierte sie sich in ihrer Jugend im VSSTÖ, der Jugend Generation und später als Frauenpolitikerin bei der SPÖ.

Im Interview spricht sie über die Debatten, die der Gründung des ersten Frauenhauses vorangingen und auf welche Herausforderungen sie stießen. Zudem diskutiert sie eine erweiterte Femi(ni)zid-Definition und das Für und Wider des Femi(ni)zids als Straftatbestand. Die Zeiten haben sich geändert und Aktivismus zu machen ist heute schwieriger als damals, welche Tipps Karlsson jungen Feminist*innen dennoch mit auf den Weg geben möchte, verrät sie am Ende des Interviews.

Sie waren Mitbegründerin des ersten Frauenhauses in Wien, später auch Vorsitzende für den Verein der Frauenhäuser und haben als Abgeordnete die Gewaltschutzgesetzgebungen mitbestimmt. Was waren Debatten, die der Gründung des ersten Frauenhauses vorangegangen sind? Wo gab es Schwierigkeiten und wo wurde lobbyiert?

Irmtraut Karlsson: Durch Kontakte der international ausgelegten kriminalsoziologischen Gesellschaft kamen Diskussionen aus Deutschland oder England zu uns. Ich war eine Zeit im Frauenhaus in Berlin, wo sich die Student*innenbewegung und die Sozialarbeiter*innen dem Thema angenommen hatten. Und ich war in England bei Erin Pizzey im Chiswick Haus. Die Chiswick Women’s Aid war weltweit eine der ersten Zufluchtsstätten für Frauen und Kinder, die vor häuslicher Gewalt fliehen mussten. Dieses Frauenhaus war sehr exzeptionell, weil es durch einen privaten Sponsor finanziert wurde und sie sich somit um keine Subventionen etc. kümmern mussten.

Was sich auch positiv ausgewirkt hat, waren die „drei Engel der Sozialarbeit“: Maria Simon, die Direktorin der Akademie für Sozialarbeit; Anny Kohn-Feuermann, die Leiterin der Sozialarbeit in der Erwachsenenfürsorge der MA12; und Elisabeth Schilder, die die Bewährungshilfe sozusagen auf die Füße gebracht hat. Alle drei waren in der Emigration und haben dort ein anderes Frauenbild und Sozialarbeitsbild erlebt und mitgebracht. Sie haben den Faschismus in seiner ganzen Unterdrückung miterlebt. Als ich damals von der Konferenz in London zurückgekommen bin, wo es um das genannte Chiswick Haus ging, habe ich mir gedacht, dass wir das im Roten Wien auch irgendwie zusammenbringen müssten. Danach gab es eine Gruppe von Studierenden, die sich dem Thema angenommen haben. Sie waren sehr engagiert, sodass ich eigentlich nicht viel machen musste, weil sie in unserem Projektuntericht ein Konzept erarbeitet hatten.

Welche konkreten Schritte haben dann zur tatsächlichen Eröffnung des Frauenhauses geführt? Wie würden Sie die erste Zeit beschreiben?

Irmtraut Karlsson: Ich habe eine Wohnung in der Liechtensteinstraße gefunden, für die Johanna Dohnal, die damals im Landtag war, einen Antrag auf Anmietung stellte. Dort wurden unmögliche Zettelchen mit: „Wir werfen unsere Frauen raus und schicken sie ins Frauenhaus“ herumgereicht. Es war wirklich zum Speiben. Aber die gelernte Buchhalterin Dohnal hat ihre Genialität gezeigt und einen Budgetposten beantragt, also keine Subvention, um die angesucht werden muss. Wenn der Posten erst Mal im Budget enthalten ist, kann dieser zwar gekürzt, aber nicht so einfach gestrichen werden. Das war ein Anfang. Dann haben wir um die Anstellungen gestritten, weil im ersten Jahr nur vier, statt neun bewilligt waren. Die Sache ist dann erschreckend gut gelaufen, d.h. wir waren vom ersten Tag an überfüllt, weshalb die Posten im zweiten Jahr erhöht wurden. Im ersten Jahr haben wir es dennoch auf unvorstellbare Weise hinbekommen, v.a. weil die Gruppe der Studierenden entschlossen war es durchzuziehen und sogar ihre Familienbeihilfen auf neun aufgeteilt hatte. Ich küsse ihnen heut noch alle Hände und Füße, dass sie das durchgehalten haben.

Diese Idylle wurde v.a. von zwei Dingen überschattet: Erstens den Interventionen der Männer in Bezug auf das Frauenhaus: Diejenigen, die mit dem Gemeinde-Pfarrer angereist gekommen sind, aber auch diejenigen, auch aus der SPÖ, von denen ich es nie erwartet hätte. Und zweitens die sogenannte zweite Welle: Die Frauenmorde.

Wie kam es zu dieser zweiten Welle?

Irmtraut Karlsson: Das war viel später, aber der erste Femi(ni)zid vor einem Frauenhaus passierte in St. Pölten. Vielleicht war man da etwas zu optimistisch, in diesem Frauenhaus hatten sie z.B. keine Nachtdienste und die Männer wissen das; die meisten Täter waren hochmanipulativ und kannten sämtliche Schlupflöcher. Wir hatten das Glück, dass wir immer auch nachts besetzt waren und rotiert haben, dadurch ist es uns nicht passiert, dass eine Frau auf dem Weg zum Behördengang o.ä. tätlich angegriffen oder ermordet wurde. Aber auch in der Liechtensteinstraße sind die Männer auf und abgegangen. Sie waren verbissen darauf ihre Frauen „doch zu erwischen“ und haben ihnen ständig aufgelauert. Da hilft das Wegweisen alleine nichts. Ein Bundesgesetzblatt kann sehr locker Vorschreibungen enthalten, aber wie ich das jeden Tag durchsetze, steht auf einem anderen Blatt und es gibt keine Garantie, dass er sich daranhält. Dann hängt es wieder an der Betroffenen, die sich fragen muss, ob er ihr heute auflauert oder nicht.

Gab es öffentliche Reaktionen zu dem Femi(ni)zid in St. Pölten?

Irmtraut Karlsson: Zu dem Zeitpunkt gab es schon drei, vier Frauenhäuser und wir waren alle sehr betroffen. Es gab auch eine kurze, aber nicht sehr große Medienberichterstattung. Teilweise auch Stimmen, die der Meinung waren, dass eh alles vorhersehbar gewesen wäre und der Mann nur hingehen müsse und warten bis die Frau rauskommt usw.

Wann wurde damit begonnen, Morde von Männern an Frauen wirklich als Femi(ni)zide zu zählen und auch so darüber zu berichten?

Irmtraut Karlsson: In der Anfangsdiskussion war der Femi(ni)zid die Tat des muslimischen Outsiders. Das waren teilweise auch spektakuläre Fälle, worüber die Zeitungen „skandalös“ berichten konnten.

Ich habe mich damals schon unbeliebt gemacht, indem ich gesagt habe, dass die Frauenmorde des angesehenen Österreichers nicht gezählt werden. Das waren dann die „Ehetragödien“, wo er zuerst die Frau umgebracht, dann einen Abschiedsbrief geschrieben und dann sich selbst umgebracht hat. In eine ähnliche Richtung gingen Fälle, die als „Überforderung mit der Pflege“ verhandelt wurden. Das wurde auch nicht als Frauenmord betitelt, sondern als „Mitleidstötung“, aber niemand hat sich damit beschäftigt, ob diese Frau wirklich sterben wollte etc. Diese Morde wurden sehr lange einfach zu den Akten gelegt. Das war nicht einmal ein Verbrechen und kam dadurch nicht einmal in die Kriminalstatistik, weil es als Selbstmord bzw. Doppelselbstmord gezählt wurde. Erst später kam die Kategorie des erweiterten Suizids auf, wo man dann die Komplexität der Sache genauer ins Visier genommen hat.

Meiner Meinung nach müsste bei jedem Tötungsdelikt in der Kriminalstatistik nicht nur erfasst werden, ob die Täter-Opfer Beziehung ein Mann-Mann oder Mann-Frau Verhältnis war, sondern auch, ob die Tat als Femi(ni)zid eingestuft wird oder nicht. Die genauen Hintergründe müssten ermittelt werden: War es ein Mord aufgrund der Nicht-Achtung der Frau als Person? – Damit ist für mich eine Femi(ni)zid-Definition erfüllt.

Wir sehen den Begriff auch breiter z.B. auch die staatliche Mitschuld in der Ermöglichung von Femi(ni)ziden durch unterlassene Hilfeleistung usw. Stand es bei euch Mal zur Debatte Femi(ni)zid als eigenen Straftatbestand aufzunehmen?

Irmtraut Karlsson: Solange ich im Nationalrat war wurde keine strafrechtliche Komponente bezüglich Frauenmorde diskutiert, erstens weil wir stark mit dem Wegweiserecht und daran angeknüpfte juristische Fragen beschäftigt waren. Zweitens weil wir in einer Minderheit, der Frauenhausbewegung, gesagt haben, dass das Strafrecht ein irrsinniger Hammer ist und wir erst Möglichkeiten finden müssen Beratungsstellen und den Notruf usw. durchzubringen. Das Strafrecht sollte erst, wenn die Frau aus der Sache raus ist, angegangen werden. Damit es nicht wie bei der Vergewaltigung, die ja immer ein ordentlicher Strafrechtstatbestand war, der Frau nichts hilft. Das Strafrecht ist billig, Femi(ni)zid als eigenen Strafrechtstatbestand, kriegt man sogar mit der jetzigen Frauenministerin durch, aber was bringt es, wenn nicht gleichzeitig das tote Opfer im Prozess eine Fürsprache hat. Es geht mir dabei, um eine opferzentrierte Darstellungsmöglichkeit. Und zweitens muss, wie gesagt, genauer hingeschaut werden: Der Femi(ni)zid findet nicht nur in der Beziehung statt, sondern auch dort, wo keine Beziehung ist und wo jemand hingeht und einfach seine Wut oder was auch immer an Frauen auslässt.

Gab es außer den rassistischen Instrumentalisierungen noch andere Bilder, die Ihnen in der Femi(ni)zid-Berichterstattung aufgestoßen sind?

Irmtraut Karlsson: Das Shaming, das Betroffenen gegenüber passiert. Z.B. bei dem Fall mit dem Polizisten vor einigen Jahren, der seine Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind umgebracht hat und die Zeitungen geschrieben haben: „sie war so fordernd“ usw. Das Glück für die Getötete war, dass ihre energische Schwester das nicht hat ruhen lassen.

Die Täter suchen sich teilweise sehr vereinsamte Frauen mit Migrationshintergrund, oder ohne Familie, oder mit Familien, die der Meinung sind, dass die Frauen nichts wert sind. Dadurch kennen wir oft, v.a. wenn es sich um einen Österreicher handelt, nur die Darstellung des Überlebenden, die auch im Gerichtsverfahren picken bleibt. Das Opfer kann nicht mehr reden, außer die Familie des Opfers nimmt sich dessen an. Ich versuche daher schon lange durchzubringen, dass auch dem Opfer ein*e Opferanwält*in zur Verfügung gestellt wird, die einfach nachzuforschen hat wie das Opfer wirklich war, damit dieses Shaming nicht so einfach passieren kann.

Habt ihr aktionistisch versucht, auf das Thema Femi(ni)zide aufmerksam zu machen?

Irmtraut Karlsson: Mit der Gruppe der Studierenden haben wir jedes Jahr während der Novembertage eine Aktion zu einem bestimmten Thema gemacht. Für die erste Novemberaktion haben wir die Frauenhaustelefonnummer auf Pickerl gedruckt, die wir auf den Damenklos angebracht haben, um Aufmerksamkeit und Bekanntheit zu generieren.

Bei einer anderen Aktion der ersten Jahre, an die ich mich gut erinnern kann, haben wir einen Wohnwagen vors Rathaus gestellt, um auf die Wohnsituation aufmerksam zu machen. Das haben wir tatsächlich die vollen 16 Tage in der Novemberkälte durchgezogen. Danach kam Christine Schirmer, die damals für die Bauten zuständig war, zu uns runter und wir haben Übergangswohnungen fürs Frauenhaus gekriegt.

In diesen Tagen haben wir immer darauf bestanden, dass wir irgendeine Aktion machen und/oder irgendein Flugblatt verteilt wird. Nach der Gründung der autonomen Frauenhäuser wurde aktionistisch auch viel von ihnen getragen. Die Wiener Frauenhäuser haben viel Aufklärungsarbeit zu bestimmten Themen gemacht, zuletzt z.B. zu Cyberkriminalität. Und später gab es natürlich die allgemeineren Aktionen, aber im ersten Jahr gab es noch keine allgemeine Demo gegen Gewalt an Frauen. Eine große Demo, an die ich mich erinnern kann, war die für Schwangerschaftsabbruch. Aber das Thema Gewalt war damals noch nicht so ein transportierbares Thema.

Was denken Sie, was künftige Generationen von Ihren Kämpfen lernen können?

Irmtraut Karlsson: Zunächst würde ich gerne darauf hinweisen, dass wir in einer Zeit der Vollbeschäftigung aufmüpfig waren. Durch die existentielle Sicherheit mussten wir uns viel weniger Gedanken um Konsequenzen als heute machen.

Es war auch so, dass viele von uns sehr viel Kontakt zu Leuten hatten, die entweder emigriert waren oder wie beispielsweise Rosa Jochmann, im KZ waren. Dadurch entstand eine Denkweise nach dem Motto: „was soll mir passieren, an die Wand stellen können sie mich nicht mehr.“ Das hat sich auch verschoben: Demonstrationen oder Aktionen werden heute ganz anders verhandelt oder bestraft.

Und zuletzt finde ich, dass das Zusammenschließen der Frauen heute viel mutiger ist als es bei uns war.

Welche „Fehler“ sollten junge Feminist*innen nicht machen?

Irmtraut Karlsson: Aus bedauerlicher Eigenerfahrung kann ich den Rat geben sich nicht aufspalten zu lassen, weil das viel Energie kostet. Das war z.B. beim Frauenhaus so gut, dass die Gruppe der Studierenden sich auch nach anderen Möglichkeiten umgeschaut hat. Sie haben untereinander abgewogen, wo sie das Optimum durchsetzen können. Man muss sich ja nicht verkaufen, aber es können gewisse Standpunkte gesetzt werden unter deren Einhaltung man zugesteht, dass eine Zusammenarbeit funktioniert. Vertrauen ist auch wichtig und es soll um die Sache gehen und nicht wer hat’s erfunden: ich, ich, ich.

Ein zweites Learning folgt dem Motto: ‚publish or perish‘. Ich bin lieber in die Praxis gegangen, anstatt Artikel zu schreiben und dadurch eine Leseliste vorweisen zu können. Als Frauen sollten wir aber publizieren. Es gibt einen Ausdruck, der sehr gut beschreibt, warum die Männer in der Geschichtsschreibung so gut wegkommen: „der Kult der toten Dinge“® Lisa Fischer: ein Denkmal, ein Buch, eine Publikationsliste. Wer keine toten Dinge hinterlässt – da kann frau getan haben so viel sie will, sie bleibt nicht in der Erinnerung, im Kult der toten Dinge. Mit den neuen Medien haben wir heute ganz andere Herausforderungen, mit denen wir umgehen und mit unseren Namen nutzen müssen.

„Es ist wichtig, auf der Straße zu sein, weil dort ist das Leben“

Unsere Interviewpartnerin Nurcan ist Mitgründerin des kurdischen Frauenvereins Avesta, der sich 2018 mit fünf weiteren Frauenorganisationen zur Frauensolidarität Europa zusammengeschlossen hat. Zu Beginn der Coronapandemie machte die Frauensolidarität Europa durch Infotische und Demonstrationen mit einem breiten feministischen Bündnis einerseits auf die Situation von Frauen und die gestiegene Gewalt während der Lockdowns, andererseits auf die Frauenrevolution in Rojava aufmerksam. Mit Nurcan sprechen wir außerdem über ihre Konzepte im Umgang mit patriarchaler Gewalt, sowie die Angriffe in Favoriten vor zwei Jahren, bei denen türkische Faschist*innen eine Demonstration der Frauensolidarität Europa gegen häusliche Gewalt attackierten.

Was war damals dein Antrieb, gemeinsam mit Freund*innen die kurdische Frauenorganisation Avesta zu gründen?

Nurcan: Leider bin ich eine von denen, die zu Hause Gewalt erlebt hat. Bis dahin hatte ich immer geglaubt, dass der Partner sich ändern wird, dass er es auch möchte und habe gedacht, dass der Wille, sich zu ändern, auch von ihm kommen sollte. Mit meinem Willen alleine geschieht das nicht. Erst nach der Scheidung habe ich verstandeNurcan: Ich habe viel durchgemacht und ich bin eine von vielen. Und es gibt bestimmt sehr viele andere, die sich noch nicht trauen, das einzugestehen – wie ich, in den ersten Jahren. Nach der Scheidung 2005 habe ich mich getraut, offen darüber zu reden. Ab dann hab ich begonnen, Frauen zu stärken.

Wie habt ihr begonnen, als Verein zu arbeiten?

Nurcan: Wir haben eine Psychologin von der Interventionsstelle geholt und immer wieder erzählt, was die Frauen machen können, wie sie sich schützen können. Ich war hauptsächlich bei Avesta, weil es wirklich sehr viele Frauen gibt, die sich einfach nicht trauen, Gewalterfahrungen öffentlich zu machen. Und in den eigenen Reihen kommt man sehr schnell ins Gespräch, zu zweit, zu dritt. Wir haben den Frauen gesagt, man muss das gar nicht öffentlich machen. Du kannst Folgendes machen, wir stehen hinter dir, du kannst dich uns anvertrauen und schauen, wie weit du gehen möchtest. Wir haben sie gestärkt: Du musst das nicht erleiden. Du musst dieses Leben mit ihm nicht weiterführen.

Wie geht ihr im kurdischen Verein damit um, wenn Männern vorgeworfen wird, gewalttätig zu sein?

Nurcan: Es steht jetzt in unseren Statuten, dass ein Mann oder eine Frau, die gewalttätig ist, nicht bei uns Mitglied werden darf. Also wenn in der Familie Gewalt passiert und sie Mitglied werden wollen, dürfen sie nicht in unsere Gemeinschaft, solange sie sich so verhalten und nicht bessern. Und wenn sie danach wirklich kommen, gibt es eine Plattform für Selbstkritik, wo sie rauf und das zu Wort bringen müssen und je nachdem entscheiden wir: Ja, wir machen einen Probeanlauf, er soll kommen. Gleichzeitig bleiben wir in Kontakt mit der Familie, mit der Frau und den Kindern. Hauptsächlich mit den Kindern, weil meistens die Frauen darüber schweigen, aber die Kinder nicht. Je nachdem kann sich dann die Befristung aufheben oder wir sorgen dafür, dass er nicht kommen darf.

Was hat es mit dem Konzept der Selbstkritik auf sich, von dem du sprichst?

Nurcan: Also, er muss erzählen was war und was zur Zeit ist und welchen Weg er einschlagen möchte. Er muss sich bewusst sein, was er gemacht hat und dass es nicht in Ordnung war. Manchmal gibt es auch von außen Personen, die Kritik ausüben. Es kommt dann darauf an, ob derjenige die Kritik annimmt und sich verändern will. Bei Selbstkritik lernen viele auswendig, was sie sagen sollen. Aber wenn wir spontan Fragen stellen, sieht man sich selber im Spiegel und die Reflexion wirkt.

Wie lange dauert dieser Prozess?

Nurcan: Wir beginnen je nach Schweregrad meistens mit drei Monaten, wenn die Frau zwar Gewalt erfahren hat, aber weiter mit ihm leben möchte. Es wird mit ihm geredet und er bekommt mindestens drei Monate Aufenthaltsverbot im Verein, das heißt auch, drei Monate keinen Kontakt zu unseren Mitgliedern. Er wird aus unserer Gemeinschaft weggewiesen. Nach drei Monaten muss er dann einen Bericht über die Bedenkzeit schreiben und begründen, warum er wieder zur Gesellschaft dazugehören möchte. Dann wird das im Vorstand diskutiert und mit ihm geredet. Dann gibt man ihm wieder eine Frist von zwei oder drei Monaten, bis wir es wieder versuchen. Und wenn keine Beschwerden von der Frau und den Kindern kommen, darf er wieder in unsere Gesellschaft rein. Das Schöne daran ist, dass die Aleviten das Jahrzehnte, Jahrhunderte, tausende von Jahren in ihrem Gebiet gemacht haben. Das Volk selber, also die Dorfbewohner, haben selber entschieden, ob derjenige bliebt oder geht. Das hängt natürlich immer wieder von der Frau ab. Die Frau muss bereit sein, es öffentlich zu machen. Und wenn sie mit der, Strafe will ich nicht sagen, aber dem, was der Volksrat beschlossen hat, einverstanden ist, dann muss der Mann gehen. Das ist sehr gut.

Geht es bei den Fällen mit denen ihr arbeitet primär um physische Gewalt oder unterstützt ihr auch bei psychischer Gewalt?

Nurcan: Beides. Viele Frauen sagen, dass die psychische Gewalt viel belastender ist, als die physische. Sie meinen, nach einer Weile merken wir den Schmerz nicht mehr, aber das Psychische bleibt immer in Erinnerung. Wir sagen, es ist beides Gewalt, egal ob physisch oder psychisch.

Wie habt ihr mit dem kurdischen Frauenverein auf die gestiegene häusliche Gewalt während der Lockdowns in der Pandemie reagiert?

Nurcan: 2018 haben sich fünf Frauenorganisationen in Europa zusammengeschlossen und haben die Frauen Solidarität Europa gegründet. Wir sind während der Pandemie zusammengekommen und ab dem zweiten oder dritten April 2020 haben wir begonnen, für die Frauen öffentlich zu machen, dass die Gewalt gestiegen ist. Freundinnen von uns hatten da Einblick, haben nachgefragt und nachgeforscht. Auch im Umfeld hat man gemerkt, dass die Gewalt zu Hause sehr gestiegen ist. Weil die Zeit mit dem Mann, mit dem man normalerweise keine sieben oder acht Stunden verbringen kann, jetzt auf einmal zu 24 Stunden wird. Es geht auch an die männliche Psyche, dieses zu Hause zu sein und nicht rauskönnen. Aber das heißt noch lange nicht, dass Frauen darunter leiden müssen. Und da haben wir uns gedacht: Wir gehen auf die Straße und machen das bekannt, dass sich die Frauen dann zumindest trauen. Und da haben wir jede Woche an einem anderen Standort ein Meeting gemacht. Das mit der Frauenrevolution in Rojava war damals neu, und das hat sich mit der Frauenbefreiung gut verbinden lassen.

Welche Reaktionen gab es auf eure Infotische gegen Gewalt an Frauen?

Nurcan: Es waren gute. Viele Frauen sind vorbeigekommen, es waren auch Türkinnen dabei, aber hauptsächlich Kurdinnen. Von welcher Organisation war für uns nicht wichtig. Es war für uns wichtig, dass es Frauen für Frauen waren. Sie sind gekommen und mit uns gestanden, das hat mir sehr gut gefallen. Aber sie haben gemeint: Ihr seid zu wenige. Und wir haben gesagt: Ja, wir wissen, wir sind zu wenige. Aber ein Schneeball ist auch klein zu Beginn und kann zu einer Lawine werden. Es ist egal wie viele wir sind, es ist wichtig auf der Straße zu sein, weil dort ist das Leben.

Mit diesen Infotischen in unterschiedlichen Bezirken in Wien während der Pandemie wart ihr immer wieder vor allem verbalen Attacken ausgesetzt. Wie kam es zu den Angriffen im 10. Bezirk auf eure Demonstration kam?

Nurcan: Unser letzter Standort war eben im 10. Bezirk auf der Favoritenstraße. Auch an anderen Standorten gab es sehr viele Übergriffe. Dort sind immer hauptsächlich Männer geweseNurcan: „Gehts heim! Machts das nicht! Ihr brauchts das nicht.“ Oder sie sind auf uns los, sobald sie die YPG-Fahne gesehen habeNurcan: „Terroristen“. Sehr viele Kolleginnen und Kollegen waren der Meinung, dass das keine gute Idee ist, unsere Demo im 10. zu machen. Und als wir fragten, wieso nicht, hat es geheißen, dass dort sehr viele Türken seien. Das war für uns kein Grund, von unserem Vorhaben abzukommen. Auch dort gibt es Türkinnen, die Gewalt ausgesetzt sind. Und in einem Land, wo Demokratie großgeschrieben wird, sollten wir nicht darauf schauen wo viele oder wenige Türken sind. Dann haben sie gesagt: Ja, aber erlaubt uns zumindest euch zu begleiten. Wir haben dann gesagt: Wir brauchen keine Beschützer, das können wir selber machen. Dann haben sie gesagt: Ok, dann wollen wir auch an dieser Aktion teilnehmen. Von uns aus, wir haben kein Problem damit.

Wie sind die Angriffe auf eure Demonstration abgelaufen?

Nurcan: Was mich sehr nachdenklich gemacht hat waren zwei Frauen, die einfach in unsere Reihen reingekommen sind und die YPG-Fahne wegreißen wollten. Dass es Frauen waren. Und danach gab es verbale Angriffe. Am Anfang waren dort nur zwei oder drei Beamte. Dann ist einer in Militärkleidung gekommen und richtig wild auf uns losgegangen. Er war Türke, vielleicht ist er Staatsbürger, aber hatte türkische Nationalität. Dann haben wir gesagt, wir beenden die Demo nach einer Stunde, es hat keinen Sinn. Wir waren fertig. Da war noch immer nicht genug Polizei da, als eine Gruppe gegenüber von uns stand, die uns angegriffen hat: „Ihr seid Terroristen!“, „Ihr gehört alle geköpft.“ Aber weil wir das immer wieder hören, haben wir zusammengepackt und sind zu Vidit gegangen, um darauf zu warten, dass sich die Lage beruhigt. Dann ist eine ganze Gruppe auf uns zugelaufen, um uns anzugreifen und zu schlagen. Es waren wirklich Jugendliche, es waren keine Erwachsenen. Wir sind weiter und in die Vidit Lokale gegangen, uns wurde Tee angeboten und wir haben uns hingesetzt.
Erst zehn Minuten später ist die Polizei gekommen und auf einmal, quer durch den Park, eine ganze Menge Jugendlicher die nur geschrien und geschimpft haben. Ich habe schon vieles gesehen, aber dass sie so schnell mobilisiert worden sind, dass so viele in so kurzer Zeit gekommen sind, das hat mich wirklich nachdenklich gemacht, wie sicher Wien wirklich ist.
Dann sind uns noch Freunde und Freundinnen zu Hilfe geeilt. Die Polizei hat uns, nachdem sie die Türken alle irgendwie zerstreut hat, bis zum Hauptbahnhof begleitet. Am selben Abend haben wir die Nachricht bekommen, dass die Titif angegriffen worden ist.

Wie ordnest du die mediale Debatte um die Angriffe in Favoriten ein?

Nurcan: Das war eine Aktion von Frauen gegen Gewalt an Frauen, gegen häusliche Gewalt. Und es wurde zum Türken-Kurden-Krieg. Die Stadt hat sehr viel versucht zu machen, ich weiß es auch von den Jugendzentren, die diesbezüglich sehr viel Arbeit geleistet haben. Aber wir vergessen immer wieder, dass die Aktion von den Frauen einfach zu etwas anderem gemacht worden ist. Da ist bewusst eine Gruppe zusammengekommen, die diese Frauenaktion einfach als Tagesthema gelöscht hat. Es hieß nur noch, die Türken hätten die Kurden angegriffen. Wieso, warum und wo, davon war keine Rede.
Anscheinend muss immer Krawall sein, damit die Öffentlichkeit aufmerksam wird. Es ist traurig. Wir waren monatelang auf der Straße, um Öffentlichkeitsarbeit gegen häusliche Gewalt zu machen und es hat nichts gebracht. Und auf einmal gab es Krawall und es steht überall in den Medien. Leider ist das mit unserer Frauenaktion untergegangen. Der Angriff war wirklich nur auf die Frauen.

Im Rahmen eurer Mobilisierungen gegen häusliche Gewalt habt ihr auch immer wieder auf Femizide Bezug genommen. Wie kam es dazu?

Nurcan: Wir haben das Thema aufgegriffen, weil es in Kurdistan und den Metropolen der Türkei nicht selten, sondern alltäglich ist. Es werden dort fast täglich Frauen ermordet. Meistens von nahestehenden Männern, also dem Mann, Freund, Bruder, Vater, es sind immer Verwandte und Bekannte, die morden. Und es ist uns aufgefallen, dass in Österreich auch solche Morde geschehen, nicht nur bei uns in der Heimat. Egal auf welche Art und Weise, keine Frau sollte zu früh sterben. Es gibt immer eine Zeit dafür, wir werden alle sterben, aber nicht von anderer Hand.

Die Ermordung von Sakine Cansız und ihren Genoss*innen 2012 können letztlich ebenfalls als Feminizide eingeordnet werden…

Nurcan: Es wurde geklärt, wer der Mörder ist, wer der Auftraggeber ist, aber weder Europa noch Frankreich haben Stellung genommen, dass die Türkei das war. Aber ja, jeden Mittwoch, drei Jahre lang waren wir vor der französischen Botschaft. Und jedes Jahr am 9. Jänner, am Todestag, am Tag des Attentats, gehen wir zur französischen Botschaft, weil wir sie nicht vergessen werden. Weil die Ideologie, die diese Frau hingerichtet hat, weiterlebt und noch immer danach strebt, andere Aktivistinnen zu ermorden. Wir sind damals sehr vorsichtig geworden, weil der Mörder vom türkischen Geheimdienst engagiert war. Aber er hatte das Vertrauen von Sakine gewonnen. Er hat sich einfach reingeschlichen und sie ermordet. Wenn neue Menschen zu uns in den Verein oder zu Aktionen gekommen sind, haben wir doppelt so große Augen und doppelt so große Ohren gehabt: Wer ist das? Von wo ist er? Was macht er? Jetzt wissen wir mittlerweile, dass sehr viele Geheimdienstleute von Erdogan auch in Österreich aktive sind. Wir haben das ja auch bei Berivan Aslan gehört. Aber das schreckt uns nicht ab.

Was können Feminist*innen aus der Revolution in Rojava lernen?

Nurcan: In Europa gibt es die Möglichkeit, in ökonomischer Freiheit zu leben, das ist schon sehr viel wert. Ein System anzustreben, das überall gut ankommen könnte, ist wichtig. Und die Frauen müssen sich einfach zusammenschließen. Weil die Stärke, wenn sie zusammenkommen, kein Patriarchat, keine Männer auseinanderbringen können. Die Frauen müssen nur an sich glauben. Die Welt ändern, das können sie. Wenn wir einen Teil der Erde verändert haben, können wir auch die ganze Welt ändern. Wir müssen nur zusammenkommen und stark sein.

Inwiefern sind in Rojava Femi(ni)zide Thema der Bildungsarbeit und wie denkst du über die Funktion der Bildungsarbeit in Rojava nach? Wie werden die Männer in Rojava mit Bildungsangeboten erreicht?

Nurcan: Es gibt viel Bildungsarbeit, auch zu Gewalt, in diesem Fall hauptsächlich für Männer, weil sich in diesem Fall die Männer ändern müssen. Es gibt schöne Videos, wo lauter Männer sitzen und eine Frau unterrichtet. Das hätte ich mir vor zehn Jahren nicht erträumen lassen, dass Männer sitzen und eine Frau unterrichtet. Aber es muss sich noch sehr viel ändern. Es gibt die Bildungen, aber nicht nur gegen Gewalt, sondern auch über Gleichberechtigung, Frauen, Freiheit allgemein, Frauenbefreiung, wie man in der Ehe miteinander umgeht, Ökologie, Ökonomie. Es gibt und braucht sehr viel Bildung, aber nicht nur dort, auch hier. In Rojava wird es Generationen dauern, bis diese Bildung nicht mehr notwendig ist. Die Bildungsinhalte müssen immer weiter angepasst werden, weil wenn man in einem Dorf was macht, findet man mit der Zeit raus, dass da Lücken sind, dass das nicht ganz passt, dass da Änderungen gemacht gehören. Nicht nur in Rojava, auf der ganzen Welt ist Bildung wichtig, auch für uns hier.

Wie blickst du auf die aktuellen Proteste gegen Femi(ni)zide?

Nurcan: Was mir total gut gefällt ist „Nicht eine Weniger“ – diese Aktionen gleich nach einem Femizid, dass wir wirklich alle zusammenkommen. Wir müssen das noch stärken und da wirklich weiter machen. Es muss sich was ändern, es kann so nicht weiter gehen.

„Wir waren auf Opfer oder Überlebende eingestellt und nicht auf Tote“

In einem weiteren Interview sprechen wir mit Ursula Häusler von der Gruppe „Wir wollen uns lebend!“ des Berliner Netzwerk gegen Feminizide (https://wirwollenunslebend.wixsite.com/netzwerkggnfeminizid), die im London der 70er Jahre sowohl Teil der Hausbesetzungsszene, als auch Teil der Womens Liberation Movement und am Aufbau der ersten autonomen Frauen/Lesben Zentren und Frauenhäuser beteiligt war. Mit den Eindrücken feministischer Organisierung und Selbstversorgung jenseits patriarchaler Verhältnisse beteiligte sich die Feministin später in Ostdeutschland am Aufbau weiterer Frauenzentren und -häuser und rief mit feministischen Gefährtinnen zum ersten Mal in der ehemaligen DDR zum 25. November als Tag gegen Gewalt an Frauen auf. Wir bekommen Einblicke in Debatten um patriarchale Gewalt und Femi(ni)zide in den 90er Jahren und sprechen unter Aktionsformen dagegen, darunter Straßentheater, feministische Werbespots und frühe „Reclaim the Night“-Demonstrationen.

Neben deiner Aktivität in der Besetzungsszene in London in den 70er Jahren, hast du dich viel in feministischen Kontexten bewegt. Gewalt an Frauen war eines der Hauptthemen eurer politischen Aktionsformen. Wie habt ihr darüber diskutiert?

Ursula: Wir haben sehr lange Consciousness Raising Groups gemacht, das heißt, wir haben uns zusammengesetzt und uns gegenseitig unsere eigenen Geschichten erzählt, unsere persönlichen Geschichten und in diesen Geschichten auch die ganzen Gewalterfahrungen. Was wir damals festgestellt haben, das war ca. 1976, über 50% von uns waren in ihrer Kindheit vergewaltigt worden, meistens von ihren Vätern oder Verwandten. Und die anderen hatten auf jeden Fall sexuelle Gewalterfahrung bevor sie die Pubertät beendet hatten. Und das hat uns entsetzt und erstaunt, weil es diese Themen in der Öffentlichkeit überhaupt nicht gab. Es wurde nicht darüber gesprochen. Und als wir dann damit an die Öffentlichkeit gingen wurden wir verlacht, angegriffen und bedroht.

Wann und wie kam die Idee auf, Frauenhäuser als erste autonome Schutzräume für Frauen aufzubauen?

Ursula: Wir haben gar nicht darüber nachgedacht, hatten keinen Plan, es geschah aus der Not heraus, indem wir einfach in unsere eigenen Häuser und Wohnungen Frauen und Kinder aufgenommen haben, die vergewaltigt oder verprügelt waren. Das wurde dann aber sehr schnell völlig unübersichtlich und nicht zu handeln. Frauen haben sich darauf spezialisier und ihre eigenen Gruppen gebildet. Wir haben auch die Crisis-Telefone eingerichtet, also die Notruftelefone für Frauen, auch Häuser für für junge Frauen, für Kinder. Und viele haben sich dann selbst organisiert weitergebildet, haben eigene Ausbildungen an Hochschulen durchgesetzt, um das dann auch staatlich finanzieren zu lassen. Ein große Thema war natürlich immer: Werden wir durch staatliche Finanzierung abhängig oder können wir unsere feministischen Strukturen und Inhalte behalten. Für die einen war klar, wenn ich Geld vom Staat nehme, dann muss ich auch ein bisschen machen was die wollen. Und für die Autonomen, für mich, war immer klar, nö, ich nehm das Geld vom Staat, der ja schon immer mitverantwortlich für Gewalt gegen Frauen und Kinder war und davon profitiert und wir sind nur den radikal feministischen Erkenntnisse verpflichtet. z.B. waren unsere Beratungen immer anonym, der Staat als Geldgeber wollte immer „Beweise“ für unsere Tätigkeiten und die Beratung war immer ergebnisoffen, nicht wie andere Beratungen, die das Ziel haben, Frauen mit ihrer untergeordneten Rolle zu versöhnen. Da sind wir schon Mitte der 80er Jahre, da war schon klar, dass Frauenhäuser und Beratungen sehr entlastende Einrichtungen für den Staat sind.

Mit der Erfahrung, Frauenzentren und Frauenhäuser in London mit aufzubauen – wie hast du die dahingehenden Prozesse in Ostdeutschland wahrgenommen?

Ursula: Ich bin Ende 89 Jahren nach Thüringen gegangen, in die Ex-DDR, die sozusagen gerade vom Westen kolonialisiert wurde, und hab mit den Frauen, die dort schon feministisch aktiv und vernetzt waren, innerhalb eines Jahres ein starkes Netz aus Frauenhäusern (ca 35) und Frauenzentrum (ca 40) aufgebaut. Das ist auch ganz gut gelungen, viele gibt es auch immer noch, aber eher als soziale Einrichtung. Also die Politik ist eher in den Hintergrund geraten, was auch total verständlich ist. Weil wenn du im Frauenhaus oder im Frauenzentrum arbeitest, wo du tagtäglich mit katastrophalen Lebensrealitäten von Frauen und Kindern konfrontiert bist und das versuchst zu ordnen oder zu unterstützen, das ist sehr kraft- und zeit zehrend. Selfcare war nicht erfunden. Dafür fällt die Politik ein bisschen hinten runter. In der Situation war es uns auch ein bisschen aus den Augen geraten, dass für Nachwuchs ja was getan werden müsste.

In Deutschland entstanden die ersten autonomen Frauenhäuser um 1976. Wie wurden die Debatten um Selbstverwaltung gegenüber der Institutionalisierung feministischer Forderungen, wie Gewaltschutz, ab?

Ursula: Die ersten Jahre waren auf jeden Fall in beiden Ländern, oder auch weltweit, autonom. Erst Mitte der 90er Jahre wurde deutschlandweit eingeführt, dass man eine Ausbildung, ein Sozialpädagogisches Studium ablegen musste, um in einem Frauenhaus/Frauenzentrum zu arbeiten. Das war für uns extrem schwierig, weil wir dann die examinierten Sozialpädagoginnen bekamen, die aber von der Realität der Gewalt wenig Ahnung hatten und mit völlig veralteten Konzepten interventiv in die Situationen reingehen wollten und den Frauen und Kindern erzählen wollten, wie sie es richtig zu machen haben. Das war überhaupt nicht unser Konzept. Wir arbeiteten mit den Frauen zusammen, um gemeinsam herauszufinden, was für sie bessere Möglichkeiten wären. Das war dann das Ende der partizipativen Arbeit. Ab da wurde es bis auf ein paar autonome Frauenhäuser, die sich anders organisieren, zur reinen Sozialarbeit, von politischer Arbeit keine Spur mehr.
Patriarchale Strukturen haben die feministischen Innovationen aufgezogen, entpolitisiert und halten sie noch immer im Mangel als Alibi.

Ihr habt in den 90er Jahren begonnen, den 25. November als Tag gegen Gewalt an Frauen auszurufen und politisch zu begehen. Wie ist es dazu gekommen?

Ursula: Ich hab zufällig über meine internationalen Kontakte erfahren, dass und warum es diesen Tag gibt. Und dann haben wir eine Pressemitteilung geschrieben und die Geschichte der Schwestern erzählt, worum es da geht. Aber wir haben das Ganze, glaube ich, damals nur so weit verstanden, dass sowas bei uns nicht passiert. Also keine Frau wird hier, in der ehemaligen DDR, aus politischen Motiven ermordet, wir haben die Frauen, die von ihren Partner oder Expartner ermordet wurden noch gar nicht mitgedacht. Wir stellten Kerzen mit den Namen der Frauen auf, die im vergangenen Jahr vergewaltigt oder verprügelt wurden.
Das ist dieses typische, regionale Denken, was wir heute immer noch ein bisschen haben, also anderswo ist es viel schlimmer. Dabei passieren Feminizide weltweit, ganz egal. Da ist nichts schlimmer und nichts besser. Natürlich ist es in Mexiko schlimmer als in Deutschland, weil es da einfach viel mehr Frauen betrifft. Aber es ist trotzdem einfach dieselbe Struktur der patriarchalen Gewalt.

Inwieweit wurden damals innerhalb der Frauenbewegung Debatten in Bezug auf patriarchale Gewalt und insbesondere Femi(ni)zide geführt?

Ursula: Wir hatten Anfang der 90ziger noch nicht Feminizide als Begriff, keinen wirklichen Begriff, kein wirkliches Konzept für ermordete Frauen. Wir waren noch ziemlich stark in der Patriarchatsanalyse: Also was genau ist jetzt sexualisierte Gewalt? Was genau sind die Spielregeln des Patriarchats? Wie setzt sich das Patriarchat so wahnsinnig gut durch, mit welchen Konstrukten? Und kamen dann zum Patriarchat als übergreifender Struktur mit den vielen Konzepten wie Imperialismus, Kapitalismus, Sexismus, Rassismus etc., also allen Auswüchsen, die das Patriarchat am Leben erhält. Oder wir haben uns damit beschäftigt, was die ökonomischen Strukturen sind, die die Frauen immer wieder in der Abhängigkeit halten. Und wie das Patriarchat den Kapitalismus einsetzt, um Frauen, Kinder und viele andere Menschen in Abhängigkeit zu halten. Und die große Frage: Warum ist es so schwierig da raus zu kommen?

Wie habt ihr politisch auf Femi(ni)zide reagiert, von denen ihr erfahren habt?

Ursula: Wir hatten zwei bis drei Frauen, die in einem Jahr in unserem Einzugsbereich ermordet aufgefunden wurden. Da gab es noch keinen Begriff, das war Totschlag, im Affekt meistens, und ja, „Pech für die Frau, die hatte eine lange Vorgeschichte von Gewalt, das hätte sie ja besser wissen müssen! Warum hat sie den Alten nicht vorher verlassen?“ Also das war schon so ein heikles Thema. Wir haben schon auch an einem belebten Platz Kerzen hingestellt, beschriftet mit Namen von Frauen, von denen wir wussten, dass sie ermordet wurden. Und wir haben viel mit Passanten gesprochen und hatten die üblichen Presseberichte am nächsten Tag. Großes Bild, uns mit der Kerze, auf einer Seite. Also alles trägt natürlich dazu bei, dass mehr Menschen davon erfahren ohne dass es einen großen Unterschied macht zur Sache an sich. Es war so viel anderes zu tun und wir waren so fixiert auf die Unterstützung von Überlebenden. Ich würde fast sagen, dass wir die Morde ignoriert haben, das war uns zu heftig, zu viel, da konnten wir gar nicht damit umgehen. Wir waren auf Opfer oder Überlebende eingestellt und nicht auf Tote.

Welche politischen Ausdrucksformen, welche feministischen Aktionsformate habt ihr abseits von der Arbeit in Frauenhäusern/Frauenzentren und dem 25. November entwickelt?

Ursula: Ich glaub, das Wichtigste in den ganzen aktiven Jahren war, dass wir in vielen Städten und Dörfern einen Ort hatten, ein Zentrum, wo wir uns treffen und Menschen hin einladen konnten, wo wir unsere Materialien ausarbeiten, sammeln können und herstellen können. Wir hatten so kleine Druckmaschinen, es gab ja noch keine Fotokopierer damals. Wir haben uns dort selbst ausgebildet und auch viel Selbstverteidigung gemacht, da gab es immer Kursangebote.
Und ein ganz wichtiger Punkt für uns war das Straßentheater. Wo wir das, was wir theoretisch über Gewalt an Frauen, Kindesmissbrauch, Vergewaltigung von Überlebenden gehört hatten, verarbeitet und in Szene gesetzt haben und damit auch auf die Straße gegangen sind. In kurzen Sketchen, fünf bis sechs Minuten in Gruppen von fünf Frauen oder mehr und immer wieder an unterschiedlichen Standorten. Und wir sind geblieben, um mit den Leuten zu diskutieren. Das fanden die Leute schon immer interessant, wenn da fünf, sechs Frauen in komischen Kostümen auf der Straße rumhampelten, Schilder zeigen, rote Farbe verspritzen und irgendwelche auffälligen Aktionen machen. Da bist du immer sehr gut ins Gespräch gekommen mit anderen.

Habt ihr eure Auseinandersetzungen auch medial verarbeitet?

Wir haben auch Filme gedreht über die ganzen Thematiken, das haben dann die Kunststudentinnen gemacht, über Werbung, über Vergewaltigung, über die Slogans, die wir damals rausgebracht haben, zum Beispiel „Yes means Yes, and No means No“, also so kleine Spots, die wurden dann in den alternativen Kinos vor den Hauptfilmen gezeigt. Wir haben schon relativ viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht und engen Kontakt mit der Presse gesucht. Und wir haben viele kleine Demos gemacht, wie „Reclaim the Night“, was jetzt ja auch wiederbelebt wird. Das ging aber sehr eindeutig gegen Prostitution und gegen Sexshops.

Im ersten Interview unserer Reihe haben zwei autonome Aktivistinnen von der Gründung der Frauenpatrouillen in Wien erzählt, also einer Form feministischer Selbstbehauptung auf den Straßen. Erinnerst du dich an ähnliche Formate aus deiner aktiven Zeit?

Ursula: Das haben wir zum Teil auch gemacht. Wenn z.B. Frauen in einem unsicheren Gebiet gewohnt hat, dann haben wir sie begleitet. Oder wenn Gebiete besondere Vergewaltigungs-Hotspots waren, haben wir uns dort aufgehalten und Lärm gemacht. Da braucht man auch nur zehn Frauen, wir hatten unsere schweren Schuhe, waren schwarz gekleidet und hatten unsere Schlagstöcke dabei. Wir sind auch in Prügeleien reingegangen. Aber ich denke für mich persönlich, das kann ich für 10-15 Jahre machen und dann wird es mir zu viel. Das macht man zwischen 20-30-35 und dann fangen wohl die meisten Menschen an zu überlegen: Ich will zwar revolutionär bleiben, aber das mit dem Aktivismus das muss ich ein bisschen anders kanalisieren.

Wie siehst du die aktuellen Protestformen und Debatten, die im Moment um das Thema Femi(ni)zide geführt werden vor dem Hintergrund deiner Erfahrungen in der Frauenbewegung?

Ursula: Es gibt ja eigentlich keine wirklich neuen Aktionsformen seit dem Beginn der 70er Jahre der Frauenbewegung. Vielleicht hier und da ein bisschen was anders, ein bisschen mehr Internet, ein bisschen Zoom, ein bisschen mehr Aufrufe und Gruppenbildung. Aber es zu wenig analytisch, es ist mir überall in allen Gruppen zu wenig Patriarchatsanalyse und ein wirkliches Verständnis von patriarchalen Strukturen und die Suche danach, wo wir besser ansetzen können. Und ich finde die Methoden ein bisschen altmodisch. Es geht nicht mit diesen alten Dingern, wir machen eine Demo, wir machen einen Aktionstag, wir machen Öffentlichkeitsarbeit. Ist alles schön und gut. Aber das wird z.B. diesen §218 nicht aushebeln, dazu ist er viel zu zentral für das Patriarchat. Ihr, nicht wir, ihr jungen Leute ihr müsst euch einfach was anderes überlegen. Ich finde es geht im Wesentlichen darum sich viel genauer die patriarchalen Strukturen anzusehen und die Stellen zu finden an denen wir selber in der Lage sind sie aufzulösen.

Was sind deiner Meinung nach Schwierigkeiten, an vergangene feministische Kämpfe gegen patriarchale Gewalt anzuschließen und sie weiterzuentwickeln?

Ursula: Wir brauchen viel mehr Debatten über die Ursachen und Wirkung des Patriarchats und wie uns das beeinflusst und wie uns das behindert, da weiter zu kommen. Wir brauchen wirkliche, ökonomisch orientierte Strategien. Die Macht des Patriarchats liegt im Prinzip der Ausbeutung, der Verwertung, des Mehrwerts. Dieser Kreislauf muss unterbrochen werden, wir müssen innerlich aus den patriarchalen Strukturen rausgehen, und äußerlich raus aus den kapitalistischen Strukturen.

Und wir haben ja Diskussionen über Patriarchat und Strategien. Aber diese Diskussionen sind für mich bisschen verklemmt und eingeschränkt, weil es zu viele Tabus gibt. Es gibt zu viele Denkverbote. Es gibt ganz viele Sachen, über die man nicht spricht. Das ist die eigene Erfahrung über die man nicht spricht. Es gibt politische Tabus, man darf trans nicht in Frage stellen. Man darf überhaupt die allgemeine Grundlage nicht in Frage stellen und die Diskussionen über das Patriarchat finden auch nicht wirklich statt. Es gibt so viele verschiedene Ideologien, die in sich geschlossen bleiben wollen, die sich nicht austauschen können. Es ist top patriarchal, geschlossene Ideologien zu haben. Das Christentum ist ein völlig geschlossenes Weltbild, da kann man reingehen, dann ist man da drinnen und dann ist alles gut. Und danach, nach diesem Mustern bauen sich auch Parteien, Ideologien und Gruppierungen auf, wir wollen ein geschlossenes Weltbild und vor allem wir wollen Recht haben. Wir machen das richtig, wir sind die einzigen die da wirklich die Wahrheit haben.

Und das finde ich schade, weil wir durch unsere Unfähigkeit mit anderen zu kooperieren den Kampf gegen das Patriarchat verlieren. Wie in den 60er/70er in der Linken Bewegung wir gesehen haben, die sich gegeneinander abgrenzen, sich ausgrenzen und nicht mehr miteinander kommunizieren, eine patriarchale Falle ist, in die wir damals gefallen sind, aber in die wir auch heute wieder tappen. Geschichtsvergessen. Wir haben sehr starke Abgrenzungstendenzen zu Menschen, von denen wir denken, dass sie nicht mit uns übereinstimmen. Also dieses Bedürfnis: Ich möchte mich nur mit Menschen umgeben, die mit allem was ich denke und fühle übereinstimmen.

Was können wir im Gegenzug in deinen Augen für aktuelle Protestformen und Analyse aus den frühen Kämpfen um Selbstbestimmung lernen?

Ursula: Mach so viele Fehler, wie du kannst. Ich mein, das kann man vielleicht nicht so überblicken, wenn man viel jünger ist möchte man keine Fehler. Aber vor allem junge Menschen müssen Fehler machen, wie wollen sie denn sonst was lernen? Das geht doch gar nicht. Wie wollen sie sonst irgendwas ausprobieren oder sich entfalten? Es ist eine wahnsinnig schwierige Sache, aus den Erfahrungen der anderen zu lernen. Als junger Mensch will man immer alles selber entdecken, das finde ich auch einen total legitimen Anspruch. Ist aber leider ein bisschen hinderlich. Wir kommen immer wieder in Endlosschleifen, wo man immer wieder das Rad neu erfinden muss. Aber wenn wir immer nur in einer Generation bleiben, und kein Austausch zwischen Alten und Jungen stattfindet, verlieren wir einfach die Geschichte und die Zukunft.

Alerta Feminista Austria – „Sie wollen uns stumm machen, deswegen müssen wir laut sein.“

Die Aktivist*innen von Alerta Feminista Austria stehen für einen deskolonialen feministischen Aktivismus. Ihre Gruppe ist ein Safe Space, in dem sie über gemeinsame migrantische Erfahrungen sprechen können. Außerdem besteht ihre Arbeit darin, sich mit der Situation in Wien/Österreich auseinanderzusetzen und zu versuchen, die Praxis aus Lateinamerika – wo die meisten von ihnen herkommen – hier zu etablieren. Das, was in Lateinamerika passiert, wollen sie auch hier sichtbar machen, um ihre Anteilnahme und Solidarität zu zeigen.

Im Interview sprechen Martx und Susana über die Relevanz, sich den öffentlichen, männlich konnotierten Raum anzueignen und die Wichtigkeit von Bündnissen und (internationaler) Vernetzung. Ein besonderes Anliegen ist ihnen die Anerkennung der Diversität der spanischen und lateinamerikanischen aktivistischen Community in Wien und sie verraten uns, was wir hier von ihnen lernen können.

Was waren wichtige Eckpunkte deines/eures feministischen Werdegangs und wie bist du/seid ihr zum Thema patriarchale Gewalt und Femi(ni)zide gekommen?

Ich komme ursprünglich aus Spanien und als ich bereits in Wien gelebt habe, habe ich durch Zufall einige Aktivist*innen aus Spanien übers Internet kennengelernt. In Wien hat sich eine kleine Gruppe von Auslands-Spanier*innen gebildet, die sich anfangs v.a. über die Situation in Spanien ausgetauscht hat und über die Rechte, die Spanier*innen verlieren, wenn sie in einem anderen Land leben. Aus dieser Gruppe sind dann verschiedene Arbeitsgruppen entstanden. 2014/2015 hat Spaniens damaliger Justizminister versucht, das Abtreibungsrecht zu verschärfen. Das war das erste Mal, dass wir als Gruppe etwas Feministisches gemacht haben. Durch Proteste wollten wir verhindern, dass diese Gesetze durchgesetzt werden und haben uns erstmals, zunächst nur auf europäischer Ebene, mit Gruppen in anderen Ländern zusammengeschlossen. Grundsätzlich sollte die Möglichkeit geschaffen werden, den Abbruch außerhalb Spaniens durchzuführen, falls er dort verboten wird.

Am 08. März 2017 gab es dann den ersten Paro Internacional de Mujeres, der internationale Frauenstreik bzw. feministischer Streik: Eine Zusammenarbeit zwischen Organisationen in Lateinamerika und hier in Europa. Wir wollten für den 8. März 2018 auch einen feministischen Streik organisieren und alle möglichen Kollektive vernetzen. Dadurch bin ich zum Feminismus und zum Thema patriarchale Gewalt gekommen – und zu den feministischen Gruppen in Wien. 2018 entstanden viele Vernetzungsgruppen und es gab viel Austausch, wodurch am 8. März dasselbe Lied in verschiedenen Ländern gesungen wurde oder ein gemeinsamer Hashtag entstand. Seitdem wurden enge Verbindungen geschaffen und es gab Vernetzungstreffen, wodurch ich verschiedene Formen der Organisation und des Widerstands kennengelernt habe. In den letzten drei Jahren (2020-2022) haben sich die verschiedenen Gruppen der migrantisch spanisch- und portugiesischsprachigen Community auch in Wien für den 8. März organisiert und einen gemeinsamen Block entwickelt: Feministisches* Bloco Descolonial.

Welche Gruppen sind denn für Wien wichtig und was sind ihre Anliegen?

Für unseren Block am 8. März ist die Gruppe Maracatu Nossa Luz mit den Trommeln sehr wichtig, weil das ermöglicht während den Protesten zu tanzen und den Körper einzusetzen. Ebenso die Gruppe Moenani Sisters, die Tänzerinnen, die Performances machen. Die Hispanofeministas sind auch fester Bestandteil des Blocks. Die Futuñeras sind Künstler*innen, die mit Graffiti auf der Straße arbeiten. Das ist nochmal eine andere Protestform. Und sie haben auch Workshops zur Herstellung von Masken veranstaltet, die wir bei verschiedenen Aktionen verwenden. Viele dieser Gruppen beteiligen sich auch an den Aktionen der Antikolonialen Interventionen in Wien, die am 12. Oktober, dem Tag des indigenen, schwarzen und volkstümlichen Widerstands (in Österreich heute noch als Kolumbus-Tag gefeiert), stattfinden.

Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass die Leute manchmal denken, dass alle spanisch- und portugiesischsprachigen Aktivist*innen gleich sind und auch unser Aktivismus der Gleiche ist. Aber die Gruppen sind sehr verschieden. Natürlich treffen wir uns manchmal und kommen zusammen. Am 8. März passt es sehr gut, da ergänzen wir uns, aber oft eben auch nicht. Wir haben verschiedene Ziele, Hintergründe, Intentionen und auch ganz verschiedene Arten, Aktivismus zu machen. Es ist wichtig, eigene Spaces zu haben, wo sich verschiedene Personen ausdrücken und die Dinge auch in Ruhe entwickeln, proben und gestalten können.

Welche Proteste aus Spanien und Lateinamerika waren für Wien besonders wichtig?

Z.B. die Las Tesis Bewegung, die im Oktober 2019 in Chile begann, als es dort sehr viel Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen gab. Die Gruppe existierte schon davor. Ein Beispiel dafür ist die Performance „un violador en tu camino“ des Kollektivs Las Tesis, die im November 2019 in Chile als Reaktion auf die Polizeigewalt und die Menschenrechtsverletzungen im Zuge der sozialen Unruhen stattfand. Ihre Form von Aktivismus bestand darin, feministische Texte und Inhalte performativ darzustellen und dadurch Theorie leichter an die Menschen und auf die Straßen zu bringen. Im Kontext von 2019 haben sie sich am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, dazu entschlossen, eine Performance an ihrem Entstehungsort in Valparaíso vor dem Gebäude der Polizei zu machen. Sie wollten damit auf die Verantwortung des Staates in dieser ganzen Gewalt hinweisen.

Das Kraftvolle an der Performance ist, dass sie eine Problematik darstellt, in der sich viele wiedererkennen: Aggression, (Polizei-)Gewalt, Vergewaltigung oder sexuelle Belästigung. Der Text ist sehr einfach und dazu gibt es einen eindringlichen Beat mit Choreografie. Die Performance zeigt, dass Gewalt gegen Frauen institutionelle Gewalt ist, die von der Kirche, vom Staat und vom System ausgeht. Innerhalb von Wochen wurde sie auf der ganzen Welt wiederholt, übersetzt und auf Social Media geteilt. Zum Glück hatten wir damals in Wien bereits die Gruppe Chile Despertó Viena, die gemeinsam mit der Gruppe Ni una Menos Austria im Dezember die Performance wiederholt hat – auf Spanisch und Deutsch. Es war schön, weil wir wirklich viele waren. Viele Aktivist*innen und Freund*innen, die sich aus den Augen verloren hatten, haben sich wieder getroffen. Es war ein sehr starkes Zeichen in Wien, worüber später auch geredet und berichtet wurde. Seitdem wiederholen wir die Performance jedes Jahr am 8. März. Sie ist eine kleine Tradition geworden, die uns immer wieder Kraft gibt.

Und natürlich der bereits genannte feministische Streik 2018 in Wien, der sich an den Paro Internacional de Mujeres von 2017 anschluss, war besonders stark und birgt bis heute sehr viel Potential. Jetzt habe ich die Hoffnung durch die neue österreichweite Vernetzung, dass es vielleicht nächstes Jahr zu einer bundesweiten Aktion am 8. März kommt. Ich freue mich sehr, dass durch die AG Feministischer Streik so viel in Richtung Vernetzung entsteht und so viele Aktionen geplant werden.

Die Protestformen aus Lateinamerika unterscheiden sich teilweise von denen in Europa, indem Musik oder Körpereinsatz in Tanz und Performances eine wichtigere Rolle spielt. Fallen euch noch andere Unterschiede ein, die sich vielleicht durch konkrete Proteste in Wien manifestiert haben?

Es gab ein Event über Femi(ni)zide, das die Futuñeras am Yppenplatz veranstaltet haben. Es war eine Art Hommage an die ermordeten Frauen* und gleichzeitig ein Fest für die Überlebenden. Die Message ist, dass Feiern und Trauer gleichzeitig existieren. Bei dem Event gab es z.B. auch Essen – das ist auch eine Form des Protestes: Gemeinsames Kochen und Essen verbindet. Es gab Konzerte und Beiträge und extra für diesen Tag haben die Futuñeras ein Graffiti zum Thema Femi(ni)zide gestaltet.

Einmal haben wir zum 25. November 2017 einen Eisberg mit Kreide auf den Boden gemalt. Es war als partizipative Aktivität gestaltet, wobei wir den Femi(ni)zid an die Spitze geschrieben haben, dann haben alle gemeinsam angefangen, andere Gewaltsituationen mit Kreide darunter am Boden zu schreiben. Der Eisberg sollte zeigen, dass der Femi(ni)zid das ist, was wir sehen – das ist schrecklich, aber das passiert, weil andere Gewaltformen erlaubt und naturalisiert werden. Wenn du nur an der Spitze arbeitest, kommst du nicht ans Ziel, du musst in alle Richtungen arbeiten und alle Formen der Gewalt bekämpfen.

Die Ni una Menos (Keine einzige [Frau] weniger) Bewegung kommt ursprünglich aus Lateinamerika als Feminist*innen in Argentinien am 3. Juni 2015 zum ersten Mal unter diesem Motto auf die Straße gegangen sind. In Europa hat die Bewegung viel Verbreitung gefunden. Welche Debatten gab es darüber?

Ni una Menos ist mehr oder weniger als Bewegung oder feministische Protestform entstanden. Dabei ist wichtig zu betonen, dass Ni una Menos keine Organisation ist, sondern eine Bewegung oder ein Motto, mit dem sich viele Feminist*innen auf der Welt identifizieren. In Italien gibt es z.B. auch Non una di meno und sie sind, so wie die 8M Streik Gruppen in Spanien, auch vernetzt, haben Versammlungen auf nationaler Ebene und gleichzeitig verschiedene Gruppen und AGs, in den verschiedenen Städten und Ortschaften. Sie entscheiden aber selbstständig, ohne dass sie die Schwerpunkte, Aktionen oder die Inhalte, die sie auf Social Media oder auf ihren Blogs posten, in ganz Italien oder Spanien abstimmen müssen. Auf europäischer Ebene sind diese Gruppen teilweise vernetzt. Sie inspirieren sich gegenseitig und reden über ihre Aktionen. Für die deutschsprachigen Gruppen gibt es oft Materialien, die ausgetauscht und übernommen werden können.

Der Name Ni una Menos ist wie ein Magnet, der Interesse weckt und v.a. hier in Europa eine feministische Referenz darstellt. Einerseits ist das sehr wichtig, weil du z.B. als Migrant*in aus Lateinamerika mit Hilfe des Namens verschiedene Gruppierungen finden, dich austauschen und vernetzen kannst. Letztendlich führt der Bekanntheitsgrad aber auch dazu, dass Ni una Menos die einzige Gruppe ist, die wahrgenommen wird. Tatsächlich sind wir aber unterschiedliche Gruppen. Unsere Diversität müssen wir anerkennen und schützen und wenn der Name so viele Menschen anspricht, muss man vorsichtig damit umgehen und auch die Verantwortung dahinter erkennen. Die Plattform muss als solche verwendet werden, damit auch die anderen Gruppen sichtbar gemacht und gehört werden. Ab und zu sind für die österreichischen Feminist*innen alle Latinas von Ni una Menos Austria, das ist schade. Für mich haben wir alle die Verantwortung, Diversität zu fördern und sichtbar zu machen.

Wie schätzt ihr die aktuellen Proteste am ehemaligen Karlsplatz ein? Was ist gut? Was sollte geändert werden?

Die Claim the Space Kundgebungen hatten anfangs eine ganz eigene Dynamik, hinter der viel Kraft gesteckt hat. Ein starkes Netzwerk aus verschiedenen Gruppen zu bauen ist super wichtig, weil viele Gruppen mehr Sichtbarkeit erzeugen. Die Medien haben anders berichtet, das Thema war gesellschaftlich generell mehr bekannt; ähnlich wie in Spanien mit dem feministischen Streik, wo Feminismus nicht mehr als Schimpfwort betrachtet wurde, sondern zu einer Normalität wurde. Es war schön zu beobachten, wie das Netzwerk gewachsen ist und wie gut neue Menschen integriert und verschiedene Verantwortlichkeiten verteilt wurden. Aber leider passiert es viel zu oft, dass die Leute trotzdem ausbrennen, v.a. weil die Kundgebungen nach jedem Femi(ni)zid stattfinden. Früher oder später kommt der Moment, in dem gewisse Routinen und Dynamiken entstehen und man sich neu erfinden muss. Vielleicht ist dieser Moment jetzt auch bei Claim the Space gekommen. So wie ich das wahrgenommen habe, ist das auch in Arbeit. In welche Richtung ist eine gute Frage: Wie könnte es besser, leichter oder wirkungsvoller werden? Die Aktivist*innen sagen, dass es mit der Zeit auf die Substanz geht, nach jedem Femi(ni)zid auf die Straße zu gehen. Das ist ein sehr unangenehmes Thema und sich damit permanent auseinanderzusetzen ist langfristig nicht so einfach. Man muss erfinderisch sein: Wie können wir in Claim the Space jeden Femi(ni)zid aktiv beantworten, aber so dass darin auch die Sorge- und Carearbeit mitgedacht wird und die Aktivist*innen, die dahinter stehen, nicht mit der Zeit überfordert sind oder ausbrennen. Durch Rotieren, Pausen, Verteilung von Verantwortlichkeiten, etc. könnte es vielleicht wieder besser möglich werden. Diesbezüglich brauchen wir vielleicht mehr Zeit, um kollektiv zu einer Umorientierung zu kommen. Die kollektiven Entscheidungen sind so respektvoll und so offen, aber ab und zu fehlt irgendwie die “Chefin” (lacht). Das ist kein Führungsthema, aber gewisse Dinge müssen irgendwann geklärt werden, damit es praktikabel bleibt.

Ein weiterer Punkt ist, dass Claim the Space gerade für mich als migrantische Person als offener Raum sehr wichtig ist, weil unsere Stimmen gehört werden. Vielleicht noch im Anschluss daran als Anmerkung für die Zukunft: Vielen Migrant*innen fällt es schwer, den langen, oft sehr akademischen Reden zu folgen – v.a. aufgrund der Sprache. Es wäre also schön, einen Weg zu finden, das Ganze inklusiver zu gestalten. Ich bin sehr froh, dass ich mit meinem Körper und meiner Stimme dabei sein kann, aber ich bin auch traurig, dass ich nicht alles verstehen kann. In gewisser Weise entfernen wir uns dadurch voneinander, weil es nicht möglich ist, zu folgen.

Was können Feminist*innen hier von den Kämpfen in Lateinamerika lernen?

Es ist wichtig, gemeinsam eine feministische Gesellschaft zu bauen, nicht nur hier in Wien, sondern in allen Ländern und Städten in Europa. Ich denke, das war es, was Femi(ni)zide in Lateinamerika letztendlich als Delikt im Strafrecht verankert hat. Es wurde länderübergreifend als Kollektivbewegung zwischen feministischen Gruppen und Bewegungen in verschiedenen Ländern von Lateinamerika zusammengearbeitet.

Ich denke auch, dass im Aktivismus das Thema (Selbst-)Heilung ein wichtiges ist. Du musst überall kämpfen, aber du musst auch auf dich schauen. So kann man auch in Bezug darauf, wie Proteste wahrgenommen werden, viel aus Lateinamerika lernen: Sie sind nicht nur traurig und ernst und machen wütend, sondern diese Gefühle werden gleichzeitig auch durch gemeinsames Singen, Tanzen und Feiern kompensiert. Sonst ist alles zu negativ und zu frustrierend. Der Spaß darf nicht verloren gehen, das ist auch eine kollektive Heilung – das Leben zu schätzen und zu genießen und mit dem ganzen Körper zu arbeiten und nicht nur mit dem Kopf. Das, was ich aus den Jahren mit den compañeres gelernt habe ist, dass du nicht nur mit deiner Stimme protestieren kannst, sondern auch mit deinen Händen, Füßen, mit dem ganzen Körper. Du kannst während den Aktionen ein sehr schönes Gefühl haben, weil du es nicht alleine machst, sondern Teil von einem Kollektiv bist. Das ist ein sehr besonderes Gefühl, wohingegen die Menschen in Europa oft Einzelgänger sind.

Der öffentliche Raum ist männlich konnotiert, Männer erlangen Wissen im öffentlichen Raum, sie sind laut, weil es ihr Raum ist. Uns wird der private Raum zugewiesen und deswegen ist es so wichtig uns auch diesen öffentlichen Raum anzueignen und ihn mit unseren s.g. “Cuerpas” Körper und unserer Präsenz zu feiern und laut zu sein. Deswegen mag ich solche Namen wie Kollektiv lauter und Claim the Space: Nehmt den Raum! Wir sind sichtbar und nehmen uns den Raum mit unseren Körpern ein. Tänze sind seit ewigen Zeiten eine Ausdrucksform aus Lateinamerika. Versklavte Menschen nutzen Tänze und Gesang als eine Form von Widerstand. Mächtige Leute wollten sie entmenschlichen und sie entgegneten: „Nein, wir feiern jeden Moment, in dem wir zusammen und am Leben sind.” Das Zusammensein auf der Straße zu feiern ist sehr wichtig und durch Körpereinsatz und die Kraft unserer Stimmen protestieren wir. Sie wollen uns stumm machen, deswegen müssen wir laut sein.

Bettina Zehetner – „Die Themen der Frauen sind im Großen und Ganzen gleich geblieben, weil sich die Gesellschaft nur irrsinnig langsam emanzipiert“

Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet unsere Interviewpartnerin Bettina Zehetner bei der Beratungsstelle Frauen* beraten Frauen*, die 1980 in Wien gegründet wurde. Wir sprechen mir ihr über Ansätze ihrer Beratungstätigkeit und in welchen Aspekten sie sich als präventive und ganzheitliche Arbeit von der stärker gewaltschutz-orientierten Perspektive der Frauenhäuser abhebt. Bettina Zehetner erzählt, inwiefern sich die Diskurse über patriarchale Gewalt in Medien und Öffentlichkeit verändert haben und erinnert frühere kämpferische 8. März-Demonstrationen, sowie aktuelle Protest- und Aktionsformen von frauenpolitischen Einrichtungen, darunter die Besetzung des Frauenministeriums in den 00er Jahren.

Du selbst bist 1999 in die Frauenberatung eingestiegen. Was war der Gründungsgedanke von Frauen* beraten Frauen* als unabhängiger Beratungsstelle?

Bettina Zehetner: Die Frauenberatung wurde vor über 40 Jahren von fünf Kolleginnen gegründet, die im Gesundheits- und Sozialbereich gearbeitet haben – als Ergotherapeutin in einem Krankenhaus, als Pädagogin, als Juristin, als Psychologin, in der Jugendhilfe und in der Gynäkologie. Alle haben in ihren Bereichen große Missstände festgestellt. Frauen wurden da einfach nicht gut behandelt, objektifiziert, haben sexuelle Übergriffe erlebt. Sie wollten etwas Neues gründen, wo Frauen hinkommen können und keinen Übergriffen ausgesetzt sind. Was Frauenspezifisches, was Feministisches. Diese fünf Frauen haben dann „Frauen beraten Frauen“ gegründet, mit allerhand unbezahlter Vorarbeit. Von Anfang an waren alle Beratungstermine besetzt. Es gab nie mehr Beratungsangebot als Nachfrage, es war immer umgekehrt.

Mit welchen Themen setzt ihr euch seit damals in der Beratungsstelle auseinander?

Bettina Zehetner: Die Themen der Frauen sind im Großen und Ganzen gleichgeblieben, weil sich die Gesellschaft nur irrsinnig langsam emanzipiert. Nach wie vor geht es viel um Gewalt, Rechte in Lebensgemeinschaften und Ehe. Wie geht eine Trennung, ohne dass es eskaliert und gewaltvoll wird? Wie kann ich mir eine Existenz sichern – mit Kindern, mit Beruf und Ausbildung? Der Bedarf der Frauen ist ganz klar da und unserer Ansicht nach sollte die Politik das finanzieren, weil Frauenberatung auch Armutsprävention, Gewaltprävention ist.

Nimmst du einen politischen Willen zur Förderung eurer feministischen Basis- und Beratungsarbeit wahr?

Bettina Zehetner: Es ist eine tolle Arbeit, aber es ist auch anstrengend, immer wieder neue Dinge entwickeln zu müssen, um die Basisarbeit mitzufinanzieren. Am Anfang war ein unglaublich toller Push aus der Zeit mit Johanna Dohnal. Sie hat immer wieder autonome Frauen eingeladen und gefragt: Was sind eure Themen, was braucht ihr? Das gibt es heute teilweise auch noch, aber schon sehr viel bürokratisierter und vermittelter. Wir sind entsetzt, wenn eine Frauenministerin, die bei uns war, trotzdem noch sagt: „Ja, Beruf und Kinder zu vereinbaren ist kein Widerspruch, das ist möglich und selbstverständlich“, oder wenn sie sagt „Feminismus wäre keine Befreiung für Frauen, sondern Einschränkung und Belastung.“

Inwiefern und auf welchen Ebenen ist Gewalt Thema in der Beratungsstelle?

Bettina Zehetner: Gewalt in allen Formen und auf allen Ebenen ist praktisch immer Thema. Grad die Femizide waren der Anlass für unser letztes Projekt, das Handbuch und die Studie „Ist das schon Gewalt?“. Der Mediendiskurs ist einfach wirklich unerträglich, wo von „Eifersuchtsdrama“ und „Er musste sie töten“ nach wie vor lauter Schwachsinn geschrieben wird, obwohl es genug Leitfäden über geschlechtersensible gewalt-bewusste Berichterstattung gäbe. Und uns kommt vor, dass die Politik viel spricht, aber wenig tut.
Es wird nicht gesehen, dass unsere Arbeit grundsätzlich Gewaltprävention bedeutet. Weil wir durch das Benennen und das Sichtbarmachen, durch das gemeinsame Entwickeln von Strategien, wie sich die Frau besser schützen kann, Grenzen setzen oder sich trennen kann, tatsächlich täglich Gewaltprävention ausüben. Also tatsächlich ist in der Beratung jede Form der Gewalt sehr viel Thema – viel psychische Gewalt, institutionelle Gewalt, Polizeigewalt, Staatsanwaltschaften, sexualisierte Gewalt, ökonomische Gewalt, finanzielle Abhängigkeiten durch unbezahlte Sorgearbeit die ausgenutzt wird. Zunehmend auch Gewalt im Cyberraum, Online Stalking, Bilder, Namen und Adressen mit üblen Botschaften veröffentlichen. Spy Ware in eskalierten Trennungsmomenten ist fast schon gang und gäbe, das ist schon heftig. In Publikationen versuchen wir dann die theoretische Ebene mit der praktischen zu verknüpfen, um alles was in Beratungsprozessen und in der Teamdiskussion läuft, auch einzubinden.

Wie seid ihr als Beratungsstelle auf der einen Seite anderen Vereinen und Organisationen vernetzt und was unterscheidet eure Arbeit auf der anderen Seite von anderen Institutionen, wie etwa den Frauenhäusern?

Bettina Zehetner: Der Unterschied ist uns wichtig. Wir können den Frauen Zeit geben, das ist unser Luxus, der aber notwendig ist. Es braucht Zeit, um sich mit Gewalt auseinanderzusetzen. Sie dürfen erzählen so lange und wie sie wollen. Sie dürfen alle Themen, die sie sonst beschäftigen mit einbringen – Kinder, Beruf, Gesundheit, das soziale System, die Herkunftsgeschichte. Und in den Frauenhäusern ist häufig Gewaltschutz die oberste Priorität, weil die Personen gerade zu Hause rausgekommen sind. Und dann recht konkret lösungsorientiert: Was braucht sie jetzt um ein eigenständiges Leben führen zu können. Was braucht sie für sich? Was brauchen die Kinder? Existenzsicherung, Geld, Wohnung, Arbeit. Und wenn sie will: Trennung oder Scheidung und die rechtlichen Dinge. Das ist hier auch Thema, aber eingebettet in alles andere, also ein ganzheitliches Konzept. Weil ja viele der Frauen noch zu Hause wohnen.

Welche Aspekte zeichnen euren Beratungsansatz aus? In welchen Situationen kommen Personen zu Frauen* beraten Frauen*?

Bettina Zehetner: Zu uns kommen auch viele Frauen, die sich weniger in akuten körperlichen Bedrohungssituationen befinden. Tendenziell ist es eher so, dass es vor allem um psychische Gewalt, ökonomische, institutionelle und andere Gewaltformen geht und seltener um handfeste körperliche Übergriffe, obwohl es die natürlich auch gibt. Ein großer Schwerpunkt sind Frauen in Trennungen, die zwar schon getrennt wohnen, aber z.B. vom Partner gestalked werden, mühsamste Gerichtsverfahren haben, wo Klage gegen Klage, Anzeigen aller Art passieren, wo um Betreuungszeiten gestritten wird, wo der Kindesvater nicht zahlen will. Und da haben wir wirklich die Möglichkeit von allen Seiten, etwa juristisch, psychologisch, sozialarbeiterisch dran zu bleiben, auch vom Team her.
Zu uns kommen Frauen frühzeitiger mit Fragen: Ist das schon Gewalt? Oder ist das noch normal? Das ist der beste Zeitpunkt wo man noch viel präventiv arbeiten kann. Zurecht soll sie auf ihr eigenes Gefühl vertrauen und ihre Wahrnehmung schildern und wir entwickeln gemeinsam Strategien, wie sie sich bei Bedarf abgrenzt und schützt. Immer wieder kommen auch Frauen, die vor längerer Zeit eine Vergewaltigung oder Missbrauch in der Kindheit erlebt haben. Auch das ist hier gut möglich aufzuarbeiten.

Nimmst du Veränderungen in den Diskursen und Debatten um Gewalt an FLINTA*s wahr? Wie werden diese im Vergleich zu früher in Medien, in der Öffentlichkeit und Gesellschaft geführt?

Bettina Zehetner: Es gibt sicher klare Veränderungen. Ich erinnere mich an Erzählungen vom Beginn der Frauenhausbewegung Mitte, Ende der 1980er, wo es geheißen hat, bei uns gibt es das nicht, bei uns werden keine Frauen geschlagen, was wollt ihr? Ins Frauenhaus, da kommen ja keine Frauen hin. Natürlich war es am ersten Tag, wo nur ganz wenige davon wussten, schon voll und gleich darauf überfüllt, eh klar.
Das gibt es heute nicht mehr, dass das negiert wird. Aber es gibt jetzt wieder einen Backlash. Frauen, die sich trauen, sexualisierte Gewalt anzuzeigen, müssen ganz oft mit Verleumdungs- und Gegenklagen rechnen. Es ist ein Riesenproblem der Rechtsprechung, dass mangels Beweisen Gewalt meist nicht geahndet wird. Ein winziger Bruchteil wird verurteilt. Aber die Verleumdungsklagen gehen unglaublich oft durch, weil das dann manifest ist. Das ist ein massives Ungleichgewicht, dass wir anders in den Griff bekommen müssen – mit dem Rechtssystem, Rechtsprechung, durch Schulungen der Richter und Richterinnen, der Staatsanwälte, der Prozessführung überhaupt. Ich kann nicht andauernd der Person, die mutig genug ist, eine Anzeige wegen Gewalt zu erstatten, eine draufgeben und den Gewalttäter wieder stützen und schützen und das Opfer demütigen. Das geht einfach nicht.

Welche Aktions- und Protestformen findest du sinnvoll, um auf Gewalt gegen FLINTA* aufmerksam zu machen?

Bettina Zehetner: Es gibt ja diese Versuche an die Basis zu gehen, im Sinne von: Wir gehen in einen Stadtteil und machen vor Ort offene Beratungsstellen, wie STOP – Stadtteile ohne Partnergewalt. Das finde ich ganz bemerkenswert und sinnvoll. An untypische Orte gehen und dort das Thema sichtbar machen. Nach außen zu gehen und sichtbar zu sein, laut zu sein, ist enorm wichtig, auch mit kreativen Formen, die Medien aufnehmen und teilen und verbreiten. Das ist auch so ein Ding, dass Frauen immer mit Alltagsarbeit, Reproduktions- und Sorgearbeit beschäftigt werden, oder den Betrieb aufrechterhalten müssen, dass sie wenig zu diesen Protestformen kommen.
Aber es ist jetzt bei uns außer in der Öffentlichkeitsarbeit nicht so sehr der Schwerpunkt nach außen zu gehen, sondern schon eher diese sehr intensive Arbeit an der Entwicklung der Frau selber, einzeln und in Gruppen. Dass sie herkommen und dann 50 Minuten erzählen und fragen und weinen und schweigen und wüten und vielleicht nach einigen Monaten befreiter und mit mehr Handlungsspielraum rausgehen. Das verträgt sich manchmal nicht ganz mit dem Sprachrohr sein.

In welcher Form beteiligt ihr euch als Beratungsstelle an feministischen Protestformen, also dem 8. März oder dem 25. November, um auf das Thema patriarchaler Gewalt hinzuweisen?

Bettina Zehetner: Am 8. März erinnere ich die wichtigen Demos, damals noch relativ geschlossene Frauendemos. Da ist auf Bühnen in Statements und durch Mikrofone sehr deutlich zur Sprache kommen, was zur Sprache kommen soll. Dass da eine große Masse an Mädchen und Frauen geschlossen marschiert und die Bestärkung, die es bedeutet hat, wenn das endlich mal ausgesprochen wird und wir damit auf der Straße präsent sind und an unterschiedliche Orte gehen, das war eine starke, gute Sache. Dieses gemeinsame Gehen, sich Zeigen und sich auch Aussetzen und die Ermutigung. Und eben auch ältere und jüngere Frauen, das hab ich immer sehr toll gefunden.

Am 25. November oder den 16 Tagen gegen Gewalt gibt es mittlerweile ein unglaublich breites und reichhaltiges Programm. Da haben wir uns an vielen Vortragsabenden beteiligt, mit Fortbildungen, mit künstlerischen Auseinandersetzungen. Wir haben da als Verein immer wieder teilgenommen, vor allem in Form von Beratungsangeboten. Also wir stellen z.B. zwei Stunden zur Verfügung, wo wir zuerst einen Input geben, Gewaltschutzgesetze, Trennung, Scheidung. Was ist Gewalt? Ist das schon Gewalt? Unterschiedliche Gewaltformen. Und Frauen konnten dann vor Ort oder online Fragen stellen und diskutieren. Und dann der Verweis: möchten Sie mehr, möchten Sie Einzelberatung, möchten Sie Gruppengespräche, kommen Sie doch zu uns.

Erinnerst du dich an weitere Aktions- und Protestformen, an denen ihr und andere frauenpolitische Einrichtungen teilgenommen haben, um auf Gewalt gegen Frauen hinzuweisen?

Bettina Zehetner: Ich erinnere mich an eine Aktion vor dem Bundeskanzleramt in den 2010ern ungefähr, wo es tatsächlich darum ging, Femizide symbolisch zu zeigen, indem wir Frauen mit Leintüchern und Blutsymbolik auf den Boden legen, also recht heftig.
Und in den 00er Jahren hat meine Kollegin Marion Breiter mal im Rahmen der Schlaflosen Nächte das Frauenministerium besetzt, das war ganz wunderbar, ist heute auch nicht mehr denkbar. Die wurden wirklich auch empfangen, aha ok, sie wollen das besetzen, aha ok. Und sie sind dann wirklich über Nacht dortgeblieben und es gab keinen großen Aufruhr mit der Polizei. Das hat gute Öffentlichkeitsarbeit bewirkt und auch mehr Geld gebracht.

Und vor fünf Jahren hat die Wiener Neustadt Frauenberatungsstelle „Wendepunkt“ einen Zug besetzt und ist durch Niederösterreich gefahren, um das Thema so präsent zu machen. Das hab ich eine feine Idee gefunden. Dann gab es noch den „Mittagstisch“, wo Frauenberatungsstellen z.B. auf der Mariahilferstraße und einmal am Ring, einfach ihre Stände aufgestellt haben und gesagt haben: Wir sind da! Wir sind da für euch! Erzählt uns was ihr braucht und wir schauen ob wir ein Angebot für euch haben.

Wie blickst du auf aktuelle Protestformen gegen Gewalt an FLINTA*s?

Bettina Zehetner: Was ich von Ni Una Menos, Take Back The Streets und vielen anderen Aufmerksamkeit generierenden Protestformen erlebe, finde ich sehr toll. Für mich sprechen die eine deutliche Sprache, zielen genau in die richtige Richtung, wirken bestärkend, emanzipatorisch, kritisch. Das find ich großartig, weil ja immer behauptet wird, die jüngere Generation ist weniger feministisch. Also das find ich überhaupt nicht. Die Ni Una Menos-Bewegung, die Demonstrationen anlässlich jedes Femizid, oder die Take Back The Streets Bewegung empfinde ich als genial und auch sehr sichtbar. Generell denke ich, das was gemacht wird, ist absolut wichtig. Generell mehr davon!

Andrea Brem – „Etwa alle Vierzehn Tage wird in Österreich eine Frau ermordet: Dagegen müssen wir etwas tun!“

Andrea Brem erzählt im Interview von der Geschichte der Wiener Frauenhäuser, die sie erstmals in den 1980er Jahren als Praktikantin betrat und deren Geschäftsführerin sie heute ist. Zudem berichtet sie über das Zusammenspiel von Aktivismus und Institutionalisierung, Schwierigkeiten und notwendigen Wandel. Wie ihre Kolleginnen übt sie Kritik am Gewaltschutzgesetz und betont die Notwendigkeit eines vielschichtigen Blickes auf Gewaltbetroffene.

Die Geschichte der Frauen*bewegungen war von Beginn an begleitet von Kämpfen auf der auf der Straße einerseits und in den Institutionen andererseits. Wie und wo haben Sie das konkret erlebt?

Andrea Brem: Die Qualität der Gewaltschutzgesetze in Österreich haben wir beispielsweise Frauenhausmitarbeiterinnen zu verdanken, die in Arbeitsgruppen innerhalb des Justizministeriums um jeden Punkt dieses Gesetzes gekämpft haben, und ihre Forderungen in die Öffentlichkeit getragen haben. Auch waren wir als Frauenhäuser oft bei Demos und haben dazu verschiedene Aktionen gemacht. Einmal haben wir einen LKW beim Rathaus aufgestellt: Darin war einerseits ein großes Wohnzimmer aufgebaut, in dem bequem ein Mann vor dem Fernseher sitzt; dem gegenüber haben wir das kleine „Frauenhaus-Zimmer“ aufgebaut, in dem eine Frau mit drei Kindern sitzt. Wir wollten damit die Diskrepanz aufzeigen, in der die Frau mit den Kindern flüchten muss, während der Mann bequem daheimsitzt. Die Aktion wurde von der Presse begleitet und war sozusagen der Start für die Gesetze zur Wegweisung, also ein großer Erfolg.

Sie haben die Geschichte der Frauenhäuser sozusagen begleitet, ist auch deren Geschichte eine Verbindung von aktionistischem und institutionalisiertem Feminismus?

Andrea Brem: Absolut. Die Entstehung der Frauenhäuser in Wien war eine Kooperation von wirklich engagierten Politiker*innen wie Johanna Dohnal, Irmtraut Karlsson, und der autonomen Szene, wo gemeinsam Ideen entwickelt und auch politisch umgesetzt wurden. Das war nicht immer leicht, aber es war wahnsinnig erfolgreich.

Worin lagen denn Schwierigkeiten und Erfolge?

Andrea Brem: Die Frauenhäuser waren damals autonom geführt. Das war einerseits super, aber dann sind wir so gewachsen, dass die Strukturen irgendwann nicht mehr gepasst haben. Ein kleines Projekt kann autonom geführt werden, aber ein so ein großer Verein – mittlerweile haben wir Millionenförderungen und mit dem neuen 5.ten Haus haben wir an die 120 Mitarbeiter*innen – braucht andere Strukturen. Das war ein schmerzhafter Prozess für alle Frauen, die hier gearbeitet haben, aber wir haben uns irgendwann dazu entschieden, den Weg zu gehen und z.B. Leitungen im Haus einzusetzen. Das hatte Vor- und Nachteile. Am meisten hat mir an der autonomen Bewegung gefallen, dass alle so involviert waren und es einen unglaublich tollen Austausch gab. Auf der anderen Seite gab es Dinge wie das Vetorecht, durch das teilweise Prozesse gestoppt wurden, die bereits ein halbes Jahr angedauert hatten und die Verantwortung, wenn etwas schief ging, war nirgends fest gemacht. Das waren Punkte, die gezeigt haben, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Zusammenfassend hat uns diese Vergrößerung ein Stück Freiheit genommen und andererseits haben wir jetzt gute Fördermittel, die uns mehr Sicherheit und den Frauenhausbewohnerinnen bessere Bedingungen bieten. Wir sind gut von der Stadt Wien subventioniert und hatten auch in den letzten Jahren nie Kürzungen, im Gegensatz zu anderen Frauenbereichen, die vor allem vom Bund subventioniert sind. Und ich glaube, wir haben uns sehr im Sinne der Klient*innen professionalisiert. Eine Sache ist uns jedenfalls immer geblieben: Wir arbeiten nach feministischen Grundsätzen.

Welche Lehren haben Sie aus Ihren beruflichen und aktivistischen Erfahrungen gezogen?

Andrea Brem: Ich finde wichtig zu betonen, dass es bei jedem Aktionismus darauf ankommt auf welche Politik er trifft. Wenn guter Aktionismus eine politische Ebene gegenüber hat, die ernsthaft interessiert ist etwas zu verändern, dann erreicht man etwas.
Ich sage das auch, um noch ein konkretes Beispiel zu nennen: Damals als es um die Eröffnung des dritten Frauenhauses ging haben wir vor dem Parlament eine Protestveranstaltung gemacht, Transparente mit unseren Forderungen hochgehalten und die zuständigen Politiker*innen eingeladen. Letztere waren damals verärgert, weil sie der Meinung waren bereits genug getan zu haben. Aber sie waren uns im Grunde gut gesonnen und der Erfolg war, dass trotzdem etwas passiert ist und wir letztendlich den Kampf ums dritte Frauenhaus gewonnen haben – damals wurde auf uns gehört. Mittlerweile glaube ich ein Gefühl dafür entwickelt zu haben, wann es Sinn macht für etwas zu kämpfen und wann es eher lohnt seine Kräfte aufzusparen. In Österreich brauchen wir derzeit eigentlich kein Geld fürs Frauenministerium auszugeben, da passiert seit Jahren zu wenig innovatives, neues. Wenn man im Vergleich dazu liest was jetzt zum Beispiel gerade in Spanien passiert, kann ich nur sagen: „Hut ab!“ Oder die derzeit geplante Änderungsreform des Kindschaftsrechts, das von der Justizministerin als „feministisches Gesetz“ postuliert wird, aber alle Gewaltschutzexpert*innen und feministische Frauenorganisationen nur die Köpfe schütteln. Künftig soll beispielsweise die Betreuungspflicht an den Unterhalt gekoppelt werden – das heißt sobald der Mann behauptet ein Drittel der Betreuung des Kindes zu übernehmen, muss er weniger Unterhalt zahlen. Das kostet Frauen Geld und wird unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung verkauft. Schon die erste Reform des Kindschaftsrechtes war frauenpolitisch der größte Rückschritt der letzten vierzig Jahre. Ich bin enttäuscht, dass überhaupt nicht auf die Forderungen von Expert*innen gehört wurde.

Heute habe ich durch meine Funktion das Gefühl ganz anders mitmischen zu können, was natürlich auch Verantwortung mit sich bringt: Ich habe die Möglichkeit bei Gesetzesentwürfen mitzuarbeiten und in einem Ministerium zu sitzen, in dem ich Ansprechpersonen habe, die viel Entscheidungsmacht haben. Da kann ich nicht groß die Protestfahne schwingen, aber ich sehe es als meine Aufgabe, den Standpunkt von Frauenrechten hartnäckig zu vertreten. Und dann muss ich mich auch trauen unangenehme Positionen einzunehmen. Wir brauchen Frauen, die sich wirklich was trauen und nicht Frauen, die bei der Politik oder in den Ministerien beliebt sein wollen. Heute erlebe ich schon oft – ich benenne es immer als Wohlfühlfeminismus – dass viele sich in erster Linie freundlich und sehr kompromissbereit geben, aber zu wenig bereit sind unangenehme Positionen auszuhalten und durchzukämpfen.

Was kritisieren sie konkret am aktuellen Gewaltschutzgesetz?

Andrea Brem: Da sind einmal die Fallkonferenzen, bei denen in Fällen akuter Gewaltdrohungen Opferschutzeinrichtungen gemeinsam mit der Polizei präventive Maßnahmen diskutieren und planen konnten, die 2018 unter Türkis-Blau grundlos abgeschafft wurden. Unter Türkis-Grün sind sie zwar wiederbelebt worden, doch nur die Polizei hat die Möglichkeit diese einzuberufen – mit der Konsequenz, dass sie kaum bis gar nicht mehr stattfinden.

Das andere ist die Täterarbeit, die meiner Meinung nach in die völlig falsche Richtung geht. Ich fordere seit zwanzig Jahren Täterarbeit, womit ich allerdings monatelange Antigewalttrainings meine, die Opferschutz orientiert sind. Das heißt während die Männerberatung mit den Männern, also den Tätern, arbeitet, arbeiten Frauenschutzeinrichtungen mit den Gewaltbetroffenen. Das, was jetzt unter sogenannter Täterarbeit eingeführt wurde, sind de facto sechs Stunden Täterberatung. Es gibt nicht einmal einen Austausch mit den Opferschutzeinrichtungen, wenn der Täter nicht zustimmt. Das bedeutet, wir haben fast keine Berührungspunkte. Das ist völlig falsch.

Und sonst? – Also irgendwelche Strafrahmen, die sich erhöht haben, die keinen Menschen interessieren, weil es eh zu wenige Verurteilungen gibt… Andererseits das was ein bisschen in Bewegungen gekommen ist, dass unsere jahrelange Forderung nach speziellen Ambulanzen, in die Frauen gehen können, wenn sie verletzt worden sind, wenigstens mal aufgegriffen wurde. Dort werden auch die Verletzungen angeschaut, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Das ist wichtig, weil es viele kleine Spuren gibt, die belegen können, dass das, was die Frau sagt, stimmt. Denn, wenn es keine Beweise gibt, kommt es nicht zur Verurteilung.
Generell ist das Problem, dass die letzten Gesetze immer vom Innenministerium ausgegangen sind – das ist die Perspektive der Polizei auf Opferschutz. Das ist eine wichtige Perspektive, das streite ich nicht ab, aber es ist nicht die Sicht der Opferschutzeinrichtungen. Stattdessen müssten sich die verschiedenen Player, d.h. Justiz, Polizei und Opferschutz ernsthaft zusammensetzen und wie damals bei der Wegweisung gemeinsam überlegen.

Seit kurzem sind Femi(ni)zide verstärkt zum Thema feministischer Kämpfe und politischer Auseinandersetzungen geworden. Welche Bilanz würden Sie in Bezug auf dieses Thema ziehen?

Andrea Brem: Der Begriff Femizid ist meiner Wahrnehmung nach von Medien erst vor relativ kurzer Zeit verwendet worden und ich glaube das geht mit einer feministischen Journalist*innen-Riege einher, die den Begriff aufnimmt und transportiert. Es ist wichtig, dass es auch im journalistischen Bereich Frauen gibt, die diese Themen aufgreifen und seriös und engagiert darüber berichten. Dabei finde ich auch wichtig, dass wir es geschafft haben die Art der Berichterstattung der Medien zu thematisieren. Es wird weniger Täter-Opfer-Umkehr à la: „weil sie ihn betrogen hat“ oder „weil sie ihn eben verlassen wollte“ betrieben. Es scheint zwar noch in vielen Artikeln durch, aber es ist mehr Bewusstsein dafür da.

Was ich aber auch beobachte ist ein Tenor, der der Meinung ist, dass eine Frau, die sich nicht an die Polizei oder andere Hilfseinrichtungen gewendet hat, oder sich nicht trennt, selber schuld sei. Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass es wahnsinnig schwierig ist den Weg der Trennung zu gehen und sich ein Leben aufzubauen. Die Männer sind fast immer finanziell bessergestellt, haben bessere AnwältInnen und bleiben nach der Trennung in den Wohnungen zurück. Die Frauen trauen sich dort ja auch gar nicht mehr hin, weil sie den Ort oft mit furchtbaren Erlebnissen verknüpfen. Oft wurden sie vom Gewalttäter zusätzlich von ihrem Freundeskreis isoliert. Diese Abhängigkeit führt auch dazu, dass die Frauen nicht gehen oder ihre Gewaltsituation nicht richtig erkennen. Mich macht es immer so betroffen, wenn ich merke, dass Frauen noch nie Hilfe gesucht haben. Man kann ja leicht sagen die Polizei, die Justiz, die NGO´s hätten versagt, aber es gibt wirklich Frauen, die ermordet werden und über deren Situation vorher niemand Bescheid wusste – maximal die Familie oder Freunde, die dann womöglich noch Gewalt bagatellisieren. Aber deshalb sind die Frauen nicht schuld, schuld ist immer der Täter. Da müssen wir als Frauenhäuser auch selbstkritisch schauen, dass wir Gewaltbetroffene noch besser abholen. Deshalb haben wir bei unserer letzten Kampagne versucht ganz niederschwellig zu kommunizieren; es sollte z.B. ohne Worte verstanden werden, um was es geht, um Sprachbarrieren zu überwinden.

Wie bewerten Sie die feministischen Kämpfe am ehemaligen Karlsplatz? Und was würden Sie jüngeren Feminist*innen heute mitgeben?

Andrea Brem: Also wenn ich darüber lese, habe ich immer ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht selbst dabei bin. Ich finde es toll, dass es das gibt. Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber dann denke ich mir, dass ich jetzt auch Mal ein bisschen Ruhe geben kann (lacht). Ich glaube, dass der feministische Aktionismus nicht ausbleiben darf, alleine schon, weil sich Frauen dadurch mit Frauenthemen auseinandersetzen und eine Solidarität und einen gemeinsamen Kampf entwickeln. Ich glaube aber auch, dass wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht immer wieder über Themen spalten.

Die Aktionen sind auch sehr gut für die Medienberichterstattung. Das ist eine Erfahrung, dass man immer schauen sollte, dass die Aktionen irgendwie medial begleitet werden. Und ich glaube schon, dass gerade dieses Zählen der Toten ein Bewusstsein schafft. Man muss nur aufpassen, dass die Frauen nicht auf die Tötung und auf die Anzahl reduziert werden und als Menschen verloren gehen. Und gleichzeitig sind die Zahlen so wichtig, weil sie der breiten Öffentlichkeit deutlich vor Augen halten: Bei 35 Frauenmorde im Schnitt der letzten fünf Jahre, das heißt drei Frauen pro Monat, das heißt in der Woche wird fast eine Frau ermordet. Dagegen müssen wir etwas tun!

Maria Rösslhumer: „Ich bewundere sie alle, die jetzt gemeinsam auf die Straße gehen, um mit so einer Intensität zu kämpfen.“

Im Interview berichtet die Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) Maria Rösslhumer von Protestaktionen engagierter Feminist*innen im Kampf gegen Femizide. Diesbezüglich analysiert sie die Verantwortung der Medien und nennt konkrete Strategien wie Gewaltbetroffene früh(er) erreicht werden können.

Rösslhumer wuchs in einer streng katholischen Familie in Oberösterreich auf. Schon früh setzte sie sich auch beruflich für marginalisierte Frauen ein. Ihr Interesse für Geschlecht und Machtverhältnisse vertiefte sie im Studium der Politikwissenschaften. Heute leitet sie den Verein AÖF und damit auch die Frauenhelpline gegen Gewalt und die Onlineberatung www.haltdergewalt.at, ist im Vorstand des Österreichischen Frauenrings und engagiert sich seit 1997 im europäischen Netzwerk WAVE (Women Against Violence Europe). Dort war sie bis 2017 auch Geschäftsführerin. Seit 2019 ist sie auch die bundesweite Gesamtkoordination von StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt.

Wie bist du zum Thema Gewalt gegen Frauen gekommen?

Leider begegnet einem dieses Thema immer wieder, das habe ich schon bei meiner ersten Arbeitsstelle mit Frauen mit Behinderungen gemerkt: Frauen werden ausgenutzt und sexuell ausgebeutet. Eine der Frauen hat es z.B. geschafft einen Job als Zimmermädchen in einem Hotel zu bekommen und ist dort vergewaltigt worden. Gewalt an Frauen war und ist sozusagen eine stetige Begleiterscheinung meiner Arbeit. Und leider auch im Privaten: Meine langjährige Freundin wäre eigentlich fast gestorben nachdem sie sich von ihrem Partner gentrennt hatte. Er wollte sie umbringen und hat sie mit einem Schrotgewehr angeschossen. Göttin sei Dank war sie schon weit genug weggelaufen, so dass sie nicht lebensgefährlich verletzt wurde. Das war für mich ein sehr prägendes Erlebnis, weil ich gemerkt habe: Frauen sind, besonders wenn sie sich trennen, in einer sehr gefährlichen Situation. Ich habe diese Geschichte mit meiner Freundin lange Zeit verdrängt, dabei hat sie auch einen Zusammenhang mit meiner eigenen: Die Tat ist am Land passiert und dieser Expartner war ein Jäger wie mein Vater. 1997 gab es einen Vorfall, bei dem im Burgenland ein Schüler eine Lehrerin erschossen hat. Dann hat sich die Aktion „Waffen weg im Haushalt“ initiiert, bei der sich u.a. Politiker*innen wie Barbara Prammer beteiligt haben. Damals habe ich mich auch schon engagiert und öffentlich dafür eingesetzt, dass es ein stärkeres Gesetz gegen Waffen geben soll, dass auch Jäger ihre Waffen zumindest einsperren müssen. Ich kann mich noch erinnern, dass sich meine Mutter immer große Sorgen gemacht hat, weil mein Vater auch so unbeschwert mit den Waffen umgegangen ist. Sie hat jedes Mal, nachdem er von der Jagd nach Hause gekommen ist, die Patronen rausgegeben. Ich habe mir damals die Frage gestellt: „Wie ist es, wenn Frauen sowieso schon von Gewalt betroffen sind und es zusätzlich noch Schusswaffen im Hause gibt?“ Die Bedrohung ist dadurch noch wesentlich stärker.

Als du 1997 begonnen hast, bei den autonomen Frauenhäusern im Bereich Gewaltschutz und -prävention zu arbeiten, welche Rolle hat das Thema Frauenmorde und Femizide zu diesem Zeitpunkt gespielt?

Damals wurde eher generell die Arbeit von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern thematisiert und die Flucht ins Frauenhaus. Die Zusammenarbeit mit der Polizei war ein relevantes Thema, mit dem meine Kolleginnen schon relativ früh begonnen haben. Ohne diese Kollaboration wäre es gar nicht gelungen das Gewaltschutzgesetz umzusetzen. Ich kann mich erinnern, dass Rosa Logar immer wieder erzählt hat wie sie und die Kolleginnen nach Meetings oft noch mit der Polizei auf ein Bier gegangen sind. Das war eine wichtige Arbeit, bei der sich die Barrieren auf beiden Seiten abgebaut haben. So entstanden gute Beziehungen, auch ins Innenministerium.

Ab wann würdest du sagen, dass Frauenmorde zu einem Politikum wurden?

Mit der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 haben die Gewaltschutzzentren und Frauenhäuser festgestellt, dass sich etwas verändert: Die Hochrisiko-Fälle, die schwere Gewalt und in letzter Konsequenz auch die Femizide haben extrem zugenommen. Das war für mich sehr einschneidend. Die wirtschaftliche Situation und die hohe Arbeitslosigkeit haben v.a. bei den Männern eine gewisse Unsicherheit hervorgerufen. Dies dürfte eine wesentliche Rolle in der Zunahme an Gewalt an Frauen und Frauenmorden gespielt haben.

Von 2014 bis 2017 kam es zu dieser eklatanten Verdoppelung von 19 auf 41 Morde im Jahr. Das war ein heftiger Sprung, von dem wir seither nicht wirklich runterkommen. In der Gesellschaft beobachte ich in den letzten Jahren eine tiefsitzende Frauenverachtung. Wir haben es mit einem gewissen Rechtsruck und Konservatismus zu tun, der die Frauenrechte nicht mehr wirklich ernst nimmt.

Die autonomen Frauenhäuser haben aktuell die umfassendsten Statistiken, wodurch deutlich mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Femizide gelenkt wird. Was war der Auslöser damit zu beginnen?

1992 hat man begonnen die Plätze zu zählen und wie viele Frauen jährlich in die Frauenhäuser flüchten. Vorher gab es zwar auch Berichte aus den einzelnen Frauenhäusern, aber noch keine gesamtösterreichische Zusammenschau und auch keine Zusammenschau der Polizeistatistik über Wegweisungen und von Frauenorganisationen. 2016 haben wir mit dieser umfassenderen Zählung auch der Femizide begonnen.

Initialzünder war vielleicht meine Arbeit beim europäischen Netzwerk WAVE (Women against Violence Europe), wo wir mit Ländern in Kontakt kamen, die bereits die Initiative zu zählen ergriffen hatten. V.a. eine Aktion hat mich damals sehr beeindruckt: Die Ausstellung Silent Witnesses, also stille Zeuginnen, in Italien. Auf einem großen Platz in Bologna wurde immer, wenn ein Frauenmord passiert ist, eine Frauenfigur aufgestellt. Am Ende war es ein richtiger Friedhof. Ein Mahnmal, von dem ausgehend auch andere Länder aktiv wurden. Die Kolleginnen aus der Slowakei haben begonnen, statt weißer Figuren wie in Italien, rote Figuren aufzustellen, damit noch mehr Aufmerksamkeit erzeugt wird. Ganz wichtig war auch, dass vor den Figuren eine Kurzbiographie der Frauen angebracht war, um den Silhouetten ein Gesicht und eine Geschichte zu geben. Seit 2013 können die Silent Witnesses Figuren mit Begleitprogramm als Wanderausstellung bei uns ausgeborgt werden. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir ähnlich wie in Italien, einen öffentlichen Platz haben, wo wir die Silent Witnesses stehen lassen können, aber vielleicht ist das Zukunftsmusik.

Gab es noch andere Strategien, um mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Gewalt gegen Frauen und v.a. Femizide zu richten?

Wir haben uns immer wieder bei Organisationen, die auf öffentlicher Ebene aktiv waren, angeschlossen: Z.B. eine Aktion im Rahmen vom Österreichischen Frauenring oder gemeinsam mit One Billion Rising, wo Frauenmorde immer wieder thematisiert wurden, aber der Fokus eben nicht nur darauf lag. Einmal haben wir auch eine Aktion mit der Künstlerin Angela Zwettler gemacht: Vor der Staatsoper wurde ein Mahnmal in Form einer Tafel mit der Aufschrift „Hellwach“ und dem Untertitel „bei Gewalt an Frauen“ errichtet. Es gab vereinzelte Aktionen, aber so effizient und in dieser Gemeinsamkeit wie heute mit Ni una menos und all diesen Frauen-Kollektiven sind wir früher eigentlich nicht aufgetreten.

Welche Strategien braucht es deiner Meinung nach, um weiterhin Aufmerksamkeit auf die Themen Gewalt und Femizide zu richten?

Die Medien spielen eine wesentliche Rolle. Ich bin froh, dass ihrerseits mittlerweile erkannt wurde, dass Femizide ein gravierendes Problem in Österreich sind und sie unsere Aussendungen und Appelle wirklich ernst nehmen. Auch wenn sie nicht immer so berichten, wie wir es gerne hätten, greifen sie das Thema zumindest auf. Wohingegen wir von der Politik kaum Unterstützung haben und v.a. Gleichgültigkeit ernten. Es gibt kein Wort der Empörung, keinen wirklichen Aufschrei, dass wieder eine Frau ermordet worden ist. Bei jeder Katastrophe sprechen Politiker*innen ihr Mitleid zumindest den Angehörigen gegenüber aus, bei Frauenmorden schweigen sie – auch die Frauenministerin. Diese Ignoranz gegenüber Frauen ist meiner Meinung nach sehr erschütternd und wirklich traurig.

Es entsteht der Eindruck, dass nur dort gelöscht wird, wo es am stärksten brennt, wie sich u.a. auch im Gewaltschutz-Paket der aktuellen Regierung zeigt. Wie bewertest du die darin enthaltenen Maßnahmen?

Man darf nicht vergessen, dass wir in Österreich gute Gesetze und Maßnahmen haben. Aber es fehlt einfach an der Umsetzung: Die ernsthafte Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und die ernsthafte Verfolgung von Gewalttätern.

Wie könnte die konkrete Umsetzung aussehen?

Erstens müssen wir überlegen wie wir generell Frauen früh(er) erreichen. In letzter Zeit ist mein Ansatz z.B. wieder mehr aus den Institutionen rauszugehen und Gemeinwesenarbeit zu betreiben. Ein Beispiel ist das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“, wo wir in die Communities, in die Bevölkerung hineingehen und mit den Leuten reden. Über diese Schiene können wir vielleicht auch die betroffenen Frauen früher erreichen, weil sie in kleinen Gruppen leichter von ihren Erfahrungen erzählen oder sich vielleicht auch dem BILLA Verkäufer um die Ecke anvertrauen können. Je mehr Leute im Umgang mit Gewalt(betroffenen) geschult sind, umso besser. Wir haben gerade bei StoP angefangen, gezielt Männer mit ins Boot zu holen, damit auch sie Verantwortung übernehmen. Auch die Nachbarschaft spielt eine wichtige Rolle. Dazu haben wir einen Leitfaden herausgegeben und viele Leute haben uns v.a. während Corona angerufen, um sich beraten zu lassen, was sie in kritischen Situationen in der Nachbarschaft tun können. Wichtig ist es, dass sich die Leute gegenseitig unterstützen und dass man zur Nachbarin oder zum Nachbarn gehen kann und fragen kann: „Haben Sie das auch gehört? Was machen wir miteinander? Alleine traue ich mich das nicht.“ Man kann z.B. auch Aushänge in die Stiegenhäuser hängen mit den wichtigsten Tipps für Zivilcourage bis hin zu Telefonnummern.

Zweitens müssen wir die Frauen, die tatsächlich um Hilfe bitten, wirklich ernst nehmen. Seitens der Behörden müssen die Frauen oft noch von Pontius zu Pilatus laufen, damit sie überhaupt unterstützt werden. Auch das Problem des Victim Blamings bei Justiz und Polizei muss angegangen werden. Da heißt es dann: „Sie ist selber schuld“ und so wird Gewalt verharmlost. Hier braucht es einen präventiven Ansatz und Wissen muss nachgeschult werden.

Drittens muss der Gewalttäter zur Verantwortung gezogen werden. Sie müssen nach einer Wegweisung frühzeitig aufgegriffen, vielleicht auch eine Gefährlichkeitseinschätzung bis hin zur Strafverfolgung gemacht werden. Die Tatsache, dass viele Frauen eine Anzeige machen, aber diese Anzeigen mit verschiedenen Begründungen eingestellt werden, ist ein Freibrief für die Täter und eine Demütigung für die Opfer. Da muss nachgeschärft werden und zwar nicht mit diesen Täterberatungsstellen, wo Gewaltprävention in sechs Stunden abgehandelt werden soll.

Was sagst du abschließend zu den Protesten am ehemaligen Karlsplatz? Was würdest du jüngeren Feminist*innen aus deinen Erfahrungen mitgeben?

Ich glaube wir können, oder ich kann, nur von ihnen lernen. Ich bewundere sie alle, die jetzt gemeinsam auf die Straße gehen, um mit so einer Intensität zu kämpfen. Ich muss gestehen, ich würde gern mehr mitgehen, aber ich schaffe es nicht mehr. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr gehen und vielleicht auch, dass wir noch mehr gemeinsam an den Forderungen arbeiten und gemeinsam an die Politiker*innen herantragen würden. Und man muss schon sagen, dass sich Vieles in Wien abspielt, und die anderen Bundesländer oft zu wenig mitkriegen. Hier bräuchte es eine österreichweite Plattform. Das gibt es zum Teil schon, aber es ist nicht so effektiv. Den Zusammenschluss zwischen StoP und den Frauenkollektiven finde ich z.B. sehr wichtig. Wir sind mittlerweile mit 25 Standorten in ganz Österreich. Das ist ein gewisser Meilenstein. Ich habe dabei auch wirklich forciert, dass die pro-feministischen Männer bei diesen Kundgebungen auch teilnehmen. Denn wenn ein Mann beginnt, eine klare Position gegen Gewalt einzunehmen, kann das auch andere Männer ermutigen und in Zukunft vielleicht sogar Signalwirkung haben. Gerade durch Personen des öffentlichen Lebens oder Politiker.

„Die Frauenpatrouille ist sehr gut gelaufen!“ – Zwei autonome Feminist*innen über selbst organisierte Schutzkonzepte, internationale Vernetzungen und vergangene sowie heutige Auseinandersetzungen mit Femi(ni)ziden

Im ersten Interview sprechen wir mit Polly und Berta, zwei autonomen Aktivist*innen in Wien über ihre feministischen Organisierungen, aktionistische Erfolge und Misserfolge und über ihre Auseinandersetzungen mit patriarchaler Gewalt. Angefangen bei ersten Politisierungsmomenten, blicken die beiden auf die Gründung der Frauenpatrouille 1993 und weitere Formen feministischer Selbstbehauptung im Alltag und auf der Straße zurück. Sie berichten von internationalen Vernetzungen und Soli-Diskos, als solidarische Unterstützungs- und Austauschformate mit Genoss*innen aus Mexiko, Ex-Jugoslawien oder der Türkei. Aber auch künstlerische Aktionen, die sich kritisch mit der medialen Berichterstattung über Übergriffe und Femizide auseinandersetzten, prägten in ihren Augen die feministische Bewegung der 1990er und 2000er Jahre in Wien.

Berta und Polly lernen sich Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in Wien kennen. Während Berta erste politische Erfahrungen im universitären Umfeld sammelt, wird Polly in autonomen Zusammenhängen aktiv, wo sie sich schließlich gemeinsam feministisch organisieren. Was waren frühe Politisierungsmomente für euch, wie seid ihr zu Feminismus, Frauenbewegung und dazu gekommen, Frauenpolitik zu machen?

BERTA: Ich bin aus Niederösterreich und 1985 nach Wien gekommen. 1987 gab es einen großen Uni-Streik und ich habe ein paar Leute kennengelernt, die in Frauengruppen und im Frauenreferat waren – da hab ich mich angeschlossen und das erste Mal feministisch organisiert. 1991 haben wir dann eine Gruppe gegen Rassismus und Sexismus gegründet, seitdem bin ich in der Richtung unterwegs.

BERTA: Damals gab es den Begriff FLINTA noch nicht, wir haben immer von FrauenLesben (FL) und gemischten Zusammenhängen gesprochen.
Es hat immer wieder Übergriffe und Vergewaltigungen gegeben, auch innerhalb der Szene, bei Besetzungen, Konzerten oder auf Parties. Das war ein wichtiger Teil, sich eher praktisch und weniger theoretisch damit auseinanderzusetzen, z.B. mit Flugblattaktionen. Ich hab dann angefangen, feministische Literatur zu lesen. Anfang der 90er war ich dann immer mehr in FL-Zusammenhängen und da waren wir auch gemeinsam in der Gruppe gegen Rassismus und Sexismus.

BERTA: Für diese Frauengruppe gegen Rassismus und Sexismus haben wir eigentlich nie einen Namen gehabt, Fantifa als Konzept hat es in der Zeit noch nicht gegeben.
Es gab Auseinandersetzungen auf der Straße mit Faschos. Und für uns war gleich das Thema: Wir brauchen Stockkampf, Selbstverteidigung und Training, das war dann der Schritt, Wendo zu machen. Und dann ist das Gewaltthema auch über die persönliche Ebene hineingekommen, weil in der Gruppe einige mit sexueller Gewalterfahrung waren. Das war sehr wichtig zu thematisieren und damit umzugehen, auch auf der Straße. Das betrifft einen selber, das betrifft jede.

Wichtige Politisierungsmomente waren demnach einerseits sehr direkte Auseinandersetzungen mit Nazis auf der Straße und andererseits Erfahrungen sexualisierter Gewalt, auf die ihr auch körperlich, also mit Kampfsport oder Selbstverteidigungstrainings reagiert habt. Welche Rolle hat Wendo als explizit feministische Praxis für euch gespielt?

BERTA: Im Wendo setzt man sich ja auch mit sich selber auseinander, was man erlebt hat und wie man sich verteidigen und stärken kann. Insofern war das in unserer Politik schon Thema. Wir sind dann auch an Orte, wo patriarchale Gewalt stattgefunden hat gegangen und haben versucht Kontakte mit Frauen vor Ort zu bekommen und dort auch Wendo angeboten.

POLLY: Den 8. März und den 25. November haben wir immer als Anlass genommen und sind dann auch an Orte patriarchaler Gewalt gegangen. Ungefähr so wie vor zwei Jahren die FLINTA* Fahrrad Demo am 8. März, da sind wir an verschiedene Orte gefahren und haben Transparente aufgehängt. So was haben wir auch gemacht.

BERTA: Und ich glaub dieser Wendo Kontext, war in dem Thema Gewalt an Frauen auch ein wichtiger Zusammenhang. Einerseits Wendo ist ja dann auch nach außen gegangen, es hat Kurse gegeben, wo Frauen hingegangen sind, da haben auch welche angerufen. Das gab es ja auch in mehreren Städten in Österreich.

POLLY: Und die Drehungen hat es auch schon gegeben. So eine feministische Selbstverteidigung. Viel in Schulen und in Jugendzentren. Und mit denen haben wir ein gemeinsame Trainings-Camps, gemeinsame Turn-Camps gemacht. Trainings-Camps sagten wir nicht, weil das kriminalisiert werden könnte. 1995 wurde nämlich ein großer Teil der autonom /anarchistischen Szene überwacht und Ermittlungen geführt. Bei Hausdurchsuchungen wurden Fotos von Trainingscamps gefunden, Damit wurde eine Kriminalisierung versucht, die Zeitungen titelten sogar „Die autonome Szene bereitet sich vor“. Daher haben wir am Telefon nie von Training, sondern immer vom Turnen gesprochen. Die Telefone sind damals schon überwacht worden.

Welche weiteren Protestformen habt ihr neben Wendo noch genutzt, um patriarchale Gewalt zum Thema zu machen?

BERTA: Es war prinzipiell eine Politik von uns, auf die Straße zu gehen.

POLLY: Patriarchale Gewalt war schon lange ein Thema und 1993 haben wir die Frauenpatrouille gegründet, die dann ein ¾ Jahr unterwegs war. Damals hatte sich nach einer Vergewaltigung am heutigen Wienerberg-Teich eine Männer-Bürgerwehr gegründet, die der Überzeugung war, dass Männer Frauen beim Nachhausegehen schützen müssen. Das wollten wir nicht und dann haben wir die Frauenpatrouille gegründet.

BERTA: Ein ¾ Jahr haben wir uns einmal die Woche getroffen, haben Patrouille gemacht und sind herumgegangen. Es haben sich dann auch andere außerhalb von der Gruppe beteiligt, wir haben uns im FZ getroffen und unterschiedliche Gruppen sind in unterschiedliche Richtungen patrouilliert. Die Straße gehört uns! Die Idee war als Frauen präsent zu sein, Frauen zu begleiten und einfach mal schauen was auf der Straße passiert. Auch gegenüber Männern, weil in der Nacht sind ja meistens mehr Männer unterwegs. Und wir wollten stärker auftreten. So war unser Plan.
Wir haben dann auch Pickerl gehabt, die verteilt und verpickt worden sind. Und Sprayen – wir haben immer das gleiche Zeichen gesprayt, um in der Stadt sichtbar zu sein.

POLLY: Und es hat Spaß gemacht. Es war immer so halb klandestin, wie wir uns da abgesprochen haben und dann herumgestreunt sind und nebenbei haben wir uns auch unterhalten. Das war was Schönes.

Was uns schon stark klar war bei der Politisierung, dass eigentlich die meiste Gewalt zu Hause passiert. Das haben wir viel mitbekommen, wie Frauen ins FZ [FrauenMädchenLesben Zentrum, Anm.] gekommen sind und dort erzählt haben. Das war schon immer Tatort Wohnung.

Die Frauenpatrouille als Reaktion auf Männer-Bürgerwehren hat sich feministischen Selbstschutz auf die Fahnen geschrieben und war der Versuch, Frauen auf der Straße sichtbarer und sicherer zu machen. Welche Faktoren haben schließlich dazu geführt, dass sich die Frauenpatrouille aufgelöst hat?

BERTA: Ich glaub das war einerseits das Integrationspaket, das uns sehr viel Zeit gekostet hat, da waren wir sehr beschäftigt. Und mit der Patrouille, das war schon ein Thema, wir haben sehr viel Zeit investiert und es war lässig, aber dann kam die Fragen wie es weiter geht. Und die Frage ob das überhaupt Teil von autonomer Politik ist und wir haben es nicht auf eine andere Ebene gebracht.
Es hat dann auch nie die direkten Konfrontationen gegeben, oder dass wir Frauen heimbegleitet haben und wir hätten da dann einen anderen Schritt machen müssen. Und das haben wir verabsäumt.

Was mir noch eingefallen ist, ein wichtiges Thema – der Jugoslawien Krieg. Das war auch so nah. Und auch da das Thema Gewalt an Frauen. Wir sind dort auch hingefahren und die sind hergekommen. Das war schon auch ein großes Thema.

POLLY: Dass Vergewaltigung im Krieg ein Thema ist. Da haben wir uns mit den Frauen aus Belgrad und Zagreb organisiert für Veranstaltungen, Wendo Kurse…. Gewalt an Frauen war immer so ein Nebenstrang verwoben mit anderen Themen, z.B.: mit Arbeitsverhältnissen oder als Fluchtgrund. Also es war immer so ein bisschen zusammengedacht.

Ihr habt beschrieben, dass ihr im Kontakt mit Frauen aus Belgrad und Zagreb standet und den Jugoslawien Krieg unter dem Aspekt der Gewalt an Frauen zum Thema eurer politischen Arbeit gemacht habt. Hat es weitere internationale Vernetzungen mit Feminist*innen gegeben?

BERTA: In Wien hat es da z.B. die Menschenrechtskonferenz gegeben, das war 1993. Da waren viele NGOs und wir haben gesagt, da schauen wir hin, um Leute kennenzulernen. Und da haben wir die Defensoras aus Mexiko kennengelernt. Plaza de Mayo waren da im Prater und haben auch gleich eine spontane Kundgebung gemacht. Die sind auch nach Wien gefahren, um sich auszutauschen. Und den Kontakt hat es ziemlich lange gegeben.

POLLY: Wir haben auch nach Mexiko Kontakt gehabt, oder wie eine Frau in Saudi-Arabien gesteinigt wurde, weil sie ihren Chef, nachdem er sie vergewaltigt hatte, ermordet hat. Da haben wir eine Soli-Disko gemacht und den Angehörigen Geld geschickt.

BERTA: Ja, wir hatten viele Kontakte, es hat auch größere internationale Treffen gegeben.

Das heißt, neben inhaltlichem Austausch und gemeinsamen Protestaktionen waren die Soli-Diskos eine Form konkreter Unterstützung feministischer Genoss*innen auch außerhalb Österreichs?

POLLY: Die Soli-Disko, das war eine Veranstaltung, die hat es einmal im Monat im FZ gegeben, z.B. zu irgendeinem Land, wo was passiert ist, wie ein Frauenmord. Oder zum Beispiel zu Istanbul, wo das erste Frauenhaus gegründet worden ist. In der Verbindung Bildung und Spaß – es hat zuerst den Vortrag gegeben, manchmal was zu essen und dann wurde getanzt. Und das Geld ist dann dort hingekommen. Die Soli-Diskos waren immer gut besucht, dadurch hat man dann immer direkt was mitbekommen von woanders. Das war auch ganz schön und das hat es lange gegeben.

BERTA: Das war schon auch so eine Zeit wo viele Aktivist*innen auch herumgereist sind.

Viele eurer Aktionsformen, wie Wendo-Trainings, Demonstrationen und inhaltliche Veranstaltungen, waren explizit nach Außen gerichtet. Auch Medien, wie die FrauenLesbenNachrichten, Flugblätter und Radio-Interviews waren wichtige Sprachrohe für die Veröffentlichung und Verbreitung feministischer Debatten. Welche Auseinandersetzungen gab es Mitte der 90er zum Thema Femi(ni)zide? Wie wurde darüber diskutiert? Habt ihr damals von Femi(ni)ziden gesprochen?

POLLY: Nein. Ich glaub wir haben von Frauenmorden gesprochen. Ich kenn den Begriff erst von euch. Wir waren nicht so die Analytiker*innen in dem Sinn. Wir haben nicht so viel Theorie gelesen. Wir haben was getan, es ist eine Herausforderung gekommen und wir haben dann halt viel diskutiert. Und manchmal hat irgendwer ein Buch mitgebracht.

Wie habt ihr damals gegen Femi(ni)zide mobilisiert? Habt ihr Demos gemacht oder seid an die Orte gegangen, an denen sie stattgefunden haben?

POLLY: Ja, oder die Demos sind dort vorbeigegangen.

BERTA: Wir sind hingegangen, haben gesprayt oder Blumen hingelegt. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir versucht haben, Kontakt aufzunehmen. Wir haben nicht so mit den Leuten geredet.

POLLY: Mit Nachbar*innen. Zum Beispiel ist eine vorbeigekommen, wie wir die Blumen hingelegt haben, mit der haben wir gesprochen. Eigentlich wäre es richtig gewesen, wir wären dann im Haus herumgegangen und hätten gefragt, und es öffentlich gemacht und verbreitet.

Welche Gründe könnte es gegeben haben, dass über Femi(ni)zide so wenig gesprochen wurde?

POLLY: Ich hab jetzt wieder so alte Zeitungsfetzen gelesen, mit der Beziehungstat und der Eifersuchtstat, oder ‚Junge Frau war anlassig‘. Das ist immer schon so ein Bild gewesen, irgendwas war mit dieser Frau, also wird sie nicht ganz unschuldig gewesen sein. Und das erschwerte es noch für Angehörige das öffentlich zu machen und von irgendwelchen depperten Journalist*innen dann noch blöd befragt zu werden. Ich glaub das war damals so.

Gab es Versuche, die Medienberichterstattung aktionistisch aufzugreifen und feministisch zu kommentieren?

POLLY: Am 25.11., ich glaub 2006, da haben wir am 25. November ein Zeitungstheater veranstaltet. Zeitungstheater nach Augosto Boal, wo Zeitungsmeldungen, Überschriften oder Texte gesammelt werden und daraus ein Theaterstück gemacht wurde. Wir haben dann einen Monat lang, jede eine andere Zeitung, Standard, Krone, gesammelt und binnen vier Wochen ein super Theaterstück über Frauenmorde oder andere Drangsalierungen auf die Beine gestellt. Jede hat sich eine Rolle gesucht, der Text ist gesagt worden, aber wir haben es dann immer aufgelöst. Zum Beispiel sagt das Mädchen: ‚Ich such mir meinen Freund selber aus‘ oder ‚Ich lass mir den Mund nicht verbieten.‘ oder ‚Liebe ist nicht gleich Besitz‘. Und zum Schluss verbrennen wir die Zeitungen. Das war auch sehr spannend.

Und einmal haben wir bei irgend so einem Tag auf der Mariahilferstraße lauter weiße Hemden aufgehängt. Das war schräg, weil wir das den Leuten erklären mussten, warum da lauter weiße Hemden hängen. Wir wollten die Unbeflecktheit der Täter darstellen. Und zu einer Kundgebung haben wir lauter Meldungen gesammelt, z.B. ‚Mädchen schlug Täter in die Flucht‘, die haben wir gesammelt und auf der Bühne vorgetragen. Weil das oft untergeht, dass es Widerstand gibt und dass der auch gelingen kann. Das war auch auf der Mariahilferstraße, in den 2000ern.

Vor dem Hintergrund, was wir heute daraus lernen können – Was ist bei euren Aktionsformen gut und was ist weniger gut gelaufen?

BERTA: Die Frauenpatrouille ist sehr gut gelaufen, so eine Form war wirklich gut.

POLLY: Ich glaub das ganz Wesentliche ist, dass wir zu wenig für Leute außerhalb der politisierten Szene gehabt haben, wurscht in welchen Bereichen. Ich glaub das ist eine Schwäche. Ich denke mir, Veränderung wird es nur geben, wenn viele das wollen und das erkämpfen. Und dass das nicht einzelne Gruppen können, und Parteien sowieso nicht, wenn sie auch so tun. Aber das ist die größte Herausforderung bei der politischen Arbeit – und Widersprüche stehen lassen.

Seit zwei Jahren wird in Wien von Claim The Space und vielen weiteren feministischen Kollektiven nach jedem Femi(ni)zid in Österreich zum ehemaligen Karlsplatz mobilisiert, um dort den Ermordeten gemeinsam politisch zu gedenken und gegen patriarchale Gewalt zu protestieren. Wie blickt ihr auf die aktuellen feministischen Mobilisierungen und Zusammenschlüsse?

BERTA: Ich find das super. Ich find das auch gut, auch unser Podcast und Interview. Auch für mich, so als Einzelne, weil ich nicht mehr in einer politischen Gruppe bin.
Ich find das gut am Karlsplatz solche Treffen und solche Aktionsformen zu machen. Weil es ist dann halt schon ein Ermüdungsaspekt bei mir, auch dieses Thema. Ich hab dann auch irgendwann einen Schritt zur Seite gemacht und bin woanders hingegangen. Aber es ist so ein großes Thema und ich find das super, dass das jetzt andere machen und dass ich dann die Möglichkeit hab dort hinzukommen. Und das ist dann eine Möglichkeit für alle.
Auch die Möglichkeit mit der Geschichte, weil Geschichte ist total wichtig, und die Geschichte dann weiter tragen. Und auch für mich selber mitzubekommen, dass ich ja auch Geschichte bin, also jetzt im positiven Sinn. Man hat was zu erzählen und das ist wichtig, was ist da schon alles gewesen. Auf vielen Ebenen sollte man sich viel mehr austauschen. Insofern find ich das gut.

POLLY: Und ich find das irre cool, dass ihr das immer machts.
Und was ich total schön find, obwohl es immer schwer auszuhalten ist, ist das Gedenken. Das ist wirklich, manchmal denk ich mir muss das sein, aber ja es muss einfach sein, es ist total wichtig. Aber es ist manchmal schwer auszuhalten und oft muss ich rären.

Feministische Bewegungsgeschichte gegen Patriarchat und Femi(ni)zid

Im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an FLINTA werden auf der Homepage von Claim the Space Interviews mit zehn Gesprächspartner*innen veröffentlicht und dadurch ein Stück Frauen*Bewegungsgeschichte von den 80er Jahren bis heute zusammengetragen werden. Im Wissen, dass feministische Kämpfe (gegen patriarchale Gewalt) nicht erst mit den Mobilisierungen von Claim the Space begannen, sondern im Zusammenhang mit langjährigen Prozessen der Auseinandersetzung stehen, wollten einige Aktivist*innen auch mehr über die Geschichte bisheriger feministischer Praxisformen gegen und Diskussionsprozesse über Femi(ni)zide erfahren. Um die aktuellen Proteste in die bisherige Geschichte feministischer Kämpfe einordnen und Verbindungslinien zeichnen zu können, haben wir uns daher auf die Suche nach Feminist*innen gemacht, die sich schon etwas länger für das Thema interessieren, sich in den letzten Jahrzehnten an Protesten gegen patriarchale Gewalt und Femi(ni)zide im deutschsprachigen Raum engagiert haben und bereit waren, uns davon zu erzählen. Erfreulicherweise konnten wir für diese Serie zehn Feminist*innen für Interviews zum Thema gewinnen. Dafür hatten wir einerseits uns bekannte Personen angefragt, andere wiederum meldeten sich auf einen von uns über Emaillisten verbreiteten Aufruf. Zu unseren Interviewpartner*innen zählten Andrea Brem (Wiener Frauenhäuser), Bettina Zehetner (Frauen beraten Frauen), Maria Rösslhumer (Autonome österreichische Frauenhäuser), Irmtraut Karlsson (Mitbegründerin des 1. Frauenhauses in Wien), Nurcan (Avesta – kurdische Frauen, Frauensolidarität Europa), Ursula Häusler (Wir wollen uns lebend Berlin), Polly und Berta (autonome Aktivist*innen), die lange Zeit in FrauenLesben Kontexten aktiv waren sowie Marta und Susana von Alerta Feminista, die sich zuvor auch bei Ni Una Menos Austria engagiert hatten. Sie geben dabei spannende Einblicke in Aktionismus und Proteste auf der Straße, institutionelle Kämpfe sowie Herausforderungen und Ausblicke auf feministische Praxen. Die Geschichte der Kämpfe gegen patriarchale Gewalt ist enorm vielfältig, so bilden diese Interviews nur spezifische Erfahrungen und Perspektiven ab. Sie sind als Aufruf zu verstehen, diverse Erzählungen hörbar zu machen und sie als Teil der eigenen Geschichte immer wieder zu erinnern.

Die Interviews wurden einerseits für einen kurzen Abschnitt des vom Autor*innenkollektiv Biwi Kefempom verfassten Buchs „Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen“, das im März 2023 im Verbrecher Verlag erscheint, herangezogen sowie andererseits für eine dreiteilige Podcast-Serie, die auf dem freien Radiosender Radio Orange (Link https://o94.at/programm/sendereihen/die-spitze-des-eisbergs) Ende 2022 ausgestrahlt wird. Da in beiden Formaten nur kurze Passagen der Interviews veröffentlicht werden können, wollten wir ergänzend längere Ausschnitte auf der CTS Homepage einem möglichst breiten Publikum zugänglich machen. In diesem Sinne wünschen wir allen viel Spaß beim Lesen und Hören!


An diesem Projekt haben sich Aktivist*innen von Claim the Space in den unterschiedlichs Tätigkeiten eingebracht, u.a. bei der Interviewakquise, Interviewführung, Transkriptionen, Redaktionsarbeiten, Aufbereitung der Interviews für den Blog, Konzipieren, Schneiden und Zusammenfügen der Podcasts, Verfassen des Buchs usw. Ein großer Dank gilt daher sowohl den Interviewpartner*innen als auch allen an der Umsetzung dieses Projekts Beteiligten sowie der finanziellen Unterstützung der MA 57 Stadt Wien.

DEMO am 25.11.2022

***INTERNATIONALER TAG GEGEN GEWALT AN FRAUEN UND LGBTIAQ***

<<< eng below / esp abajo / tur aşagıda >>>

+++ DEMOSTART: HANDELSKAI S+U | 17:00 +++
+++ ABSCHLUSSKUNDGEBUNG & PERFORMANCE: PRATERSTERN | 19:30 +++

Als queerfeministisches Bündnis Claim the Space laden wir alle Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen ein, mit uns einen kämpferischen vordersten Block der Demonstration am 25. November zu bilden!

Wir wollen gemeinsam gegen die vielfältigen Formen patriarchaler Gewalt kämpfen!
Gegen Femi(ni)zide und alle Formen von vergeschlechtlichter Gewalt – für ein angstfreies menschenwürdiges Leben!

Am Ende der Demo laden wir alle FLINTAs zur Teilnahme an der kollektiven Performance „Ein Vergewaltiger auf deinem Weg“ des chilenischen Kollektivs LasTesis ein, die wir angeleitet vom Feministischen* Bloco Descolonial in Solidarität mit den aktuellen Kämpfen im Iran auf Farsi und Deutsch aufführen werden.

Wir laden auch ein, gemeinsam das „Canción sin miedo“ (Lied ohne Angst) der mexikanischen Künstlerin Vivir Quintana zu singen, um allen Opfern männlicher Gewalt zu gedenken und sie zu ehren.

>>> Liedtext und weitere Infos zu Claim the Space auf claimthespace.blackblogs.org.
>>> aktuelle Infos zur Demo bei @rosa_oesterreich
>>> 16:30 Treffpunkt für den FLINTA-Block: Handelskai Ecke Maria Restituta Platz / Engerthstraße (Billa) +++

#claimthespace #niunemenos

<<< eng >>>

***INTERNATIONAL DAY AGAINST VIOLENCE AGAINST WOMEN AND LGBTIAQ***

+++ DEMOSTART: HANDELSKAI S+U | 17:00 +++
+++ CLOSING RALLY & PERFORMANCE: PRATERSTERN | 19:30 +++

As the queerfeminist alliance Claim the Space we invite all women, lesbians, inter, non-binary, trans and agender people to join us in forming a powerful leading block of the demonstration on 25 November!

We want to fight together against the many forms of patriarchal violence!
Against femi(ni)cide and all forms of gender-based violence – for a dignified life free of fear!

At the end of the demo, we invite all FLINTAs to participate in the collective performance „A rapist on your way“ by the Chilean collective LasTesis, which we will perform in Farsi and German in solidarity with the current struggles in Iran.

We also invite you to sing together the „Canción sin miedo“ (Song without fear) by the Mexican artist Vivir Quintana to remember and honour all victims of male violence.

>>> Lyrics and more info about Claim the Space on claimthespace.blackblogs.org.
>>> current info about the demo at @rosa_oesterreich
>>> 16:30 Meeting point for the FLINTA block: Handelskai corner Maria Restituta Platz / Engerthstraße (Billa) +++

#claimthespace #niunemenos

<<< esp >>>

***DÍA INTERNACIONAL CONTRA LA VIOLENCIA HACIA LAS MUJERES Y DIVERSIDADES (LGBTIQ*)

+++ INICIO DE LA MANI: HANDELSKAI S+U | 17:00 +++
+++ FINAL Y PERFORMANCES: PRATERSTERN | 19:30 +++

¡Como alianza queerfeminista Claim the Space invitamos a todas las mujeres, lesbianas, personas inter, no binarias, trans y agénero a unirsenos para formar un bloque queerfeminista al comienzo de la manifestación del 25 de noviembre!

¡Queremos luchar juntes contra las múltiples formas de violencia patriarcal!
Contra el femi(ni)cidio y todas las formas de violencia machista: ¡por una vida digna y sin miedo!

Al final de la manifestación, invitamos a personas FLINTA a sumarse y participar en la performance colectiva „Un violador en tu camino“ del colectivo chileno LasTesis en solidaridad con las luchas actuales en Irán, que se representará en farsi y alemán.

También les invitamos a cantar juntes la „Canción sin miedo“ de la artista mexicana Vivir Quintana para recordar y honrar a todas las víctimas de la violencia machista.

>>> Letras y más información sobre Claim the Space en claimthespace.blackblogs.org.
>>> información actual sobre la manifestación: @rosa_oesterreich
>>> 16:30 Punto de encuentro del bloque FLINTA: Handelskai esquina Maria Restituta Platz / Engerthstraße (Billa) +++

#claimthespace #niunemenos

<<< tur >>>
***ULUSLARARASI KADINA VE LGBTIAQ’A YÖNELİK ŞİDDETE KARŞI MÜCADELE GÜNÜ***

+++ DEMO BAŞLANGICI: HANDELSKAI S+U | 17:00 +++
+++ KAPANIŞ RALLİSİ VE PERFORMANS: PRATERSTERN | 19:30 +++

Queerfeminist ittifak Claim the Space olarak tüm kadınları, lezbiyenleri, inter, non-binary, trans ve agender bireyleri 25 Kasım’daki gösteride mücadeleci bir ön blok oluşturmak üzere bize katılmaya davet ediyoruz!

Ataerkil şiddetin birçok biçimine karşı birlikte mücadele etmek istiyoruz!
Femisidlere ve toplumsal cinsiyete dayalı her türlü şiddete karşı – korkudan arınmış onurlu bir yaşam için!

Gösterinin sonunda tüm FLINTA’ları, İran’daki güncel mücadelelerle dayanışma amacıyla Farsça ve Almanca olarak gerçekleştireceğimiz Şilili kolektif LasTesis’in „A rapist on your way“ adlı kolektif performansına katılmaya davet ediyoruz.

Ayrıca sizi, erkek şiddetinin tüm kurbanlarını hatırlamak ve onurlandırmak için Meksikalı sanatçı Vivir Quintana’nın „Canción sin miedo“ (Korkusuz Şarkı) adlı şarkısını birlikte söylemeye davet ediyoruz.

>> Claim the Space hakkında daha fazla bilgi ve şarkı sözleri claimthespace.blackblogs.org adresinde.
>>> @rosa_oesterreich adresindeki demo hakkında güncel bilgiler
>> 16:30 FLINTA bloğu için buluşma noktası: Handelskai köşesi Maria Restituta Platz / Engerthstraße (Billa) +++

#claimthespace #niunemenos