Andrea Brem – „Etwa alle Vierzehn Tage wird in Österreich eine Frau ermordet: Dagegen müssen wir etwas tun!“

Andrea Brem erzählt im Interview von der Geschichte der Wiener Frauenhäuser, die sie erstmals in den 1980er Jahren als Praktikantin betrat und deren Geschäftsführerin sie heute ist. Zudem berichtet sie über das Zusammenspiel von Aktivismus und Institutionalisierung, Schwierigkeiten und notwendigen Wandel. Wie ihre Kolleginnen übt sie Kritik am Gewaltschutzgesetz und betont die Notwendigkeit eines vielschichtigen Blickes auf Gewaltbetroffene.

Die Geschichte der Frauen*bewegungen war von Beginn an begleitet von Kämpfen auf der auf der Straße einerseits und in den Institutionen andererseits. Wie und wo haben Sie das konkret erlebt?

Andrea Brem: Die Qualität der Gewaltschutzgesetze in Österreich haben wir beispielsweise Frauenhausmitarbeiterinnen zu verdanken, die in Arbeitsgruppen innerhalb des Justizministeriums um jeden Punkt dieses Gesetzes gekämpft haben, und ihre Forderungen in die Öffentlichkeit getragen haben. Auch waren wir als Frauenhäuser oft bei Demos und haben dazu verschiedene Aktionen gemacht. Einmal haben wir einen LKW beim Rathaus aufgestellt: Darin war einerseits ein großes Wohnzimmer aufgebaut, in dem bequem ein Mann vor dem Fernseher sitzt; dem gegenüber haben wir das kleine „Frauenhaus-Zimmer“ aufgebaut, in dem eine Frau mit drei Kindern sitzt. Wir wollten damit die Diskrepanz aufzeigen, in der die Frau mit den Kindern flüchten muss, während der Mann bequem daheimsitzt. Die Aktion wurde von der Presse begleitet und war sozusagen der Start für die Gesetze zur Wegweisung, also ein großer Erfolg.

Sie haben die Geschichte der Frauenhäuser sozusagen begleitet, ist auch deren Geschichte eine Verbindung von aktionistischem und institutionalisiertem Feminismus?

Andrea Brem: Absolut. Die Entstehung der Frauenhäuser in Wien war eine Kooperation von wirklich engagierten Politiker*innen wie Johanna Dohnal, Irmtraut Karlsson, und der autonomen Szene, wo gemeinsam Ideen entwickelt und auch politisch umgesetzt wurden. Das war nicht immer leicht, aber es war wahnsinnig erfolgreich.

Worin lagen denn Schwierigkeiten und Erfolge?

Andrea Brem: Die Frauenhäuser waren damals autonom geführt. Das war einerseits super, aber dann sind wir so gewachsen, dass die Strukturen irgendwann nicht mehr gepasst haben. Ein kleines Projekt kann autonom geführt werden, aber ein so ein großer Verein – mittlerweile haben wir Millionenförderungen und mit dem neuen 5.ten Haus haben wir an die 120 Mitarbeiter*innen – braucht andere Strukturen. Das war ein schmerzhafter Prozess für alle Frauen, die hier gearbeitet haben, aber wir haben uns irgendwann dazu entschieden, den Weg zu gehen und z.B. Leitungen im Haus einzusetzen. Das hatte Vor- und Nachteile. Am meisten hat mir an der autonomen Bewegung gefallen, dass alle so involviert waren und es einen unglaublich tollen Austausch gab. Auf der anderen Seite gab es Dinge wie das Vetorecht, durch das teilweise Prozesse gestoppt wurden, die bereits ein halbes Jahr angedauert hatten und die Verantwortung, wenn etwas schief ging, war nirgends fest gemacht. Das waren Punkte, die gezeigt haben, dass es so nicht mehr weitergehen kann.

Zusammenfassend hat uns diese Vergrößerung ein Stück Freiheit genommen und andererseits haben wir jetzt gute Fördermittel, die uns mehr Sicherheit und den Frauenhausbewohnerinnen bessere Bedingungen bieten. Wir sind gut von der Stadt Wien subventioniert und hatten auch in den letzten Jahren nie Kürzungen, im Gegensatz zu anderen Frauenbereichen, die vor allem vom Bund subventioniert sind. Und ich glaube, wir haben uns sehr im Sinne der Klient*innen professionalisiert. Eine Sache ist uns jedenfalls immer geblieben: Wir arbeiten nach feministischen Grundsätzen.

Welche Lehren haben Sie aus Ihren beruflichen und aktivistischen Erfahrungen gezogen?

Andrea Brem: Ich finde wichtig zu betonen, dass es bei jedem Aktionismus darauf ankommt auf welche Politik er trifft. Wenn guter Aktionismus eine politische Ebene gegenüber hat, die ernsthaft interessiert ist etwas zu verändern, dann erreicht man etwas.
Ich sage das auch, um noch ein konkretes Beispiel zu nennen: Damals als es um die Eröffnung des dritten Frauenhauses ging haben wir vor dem Parlament eine Protestveranstaltung gemacht, Transparente mit unseren Forderungen hochgehalten und die zuständigen Politiker*innen eingeladen. Letztere waren damals verärgert, weil sie der Meinung waren bereits genug getan zu haben. Aber sie waren uns im Grunde gut gesonnen und der Erfolg war, dass trotzdem etwas passiert ist und wir letztendlich den Kampf ums dritte Frauenhaus gewonnen haben – damals wurde auf uns gehört. Mittlerweile glaube ich ein Gefühl dafür entwickelt zu haben, wann es Sinn macht für etwas zu kämpfen und wann es eher lohnt seine Kräfte aufzusparen. In Österreich brauchen wir derzeit eigentlich kein Geld fürs Frauenministerium auszugeben, da passiert seit Jahren zu wenig innovatives, neues. Wenn man im Vergleich dazu liest was jetzt zum Beispiel gerade in Spanien passiert, kann ich nur sagen: „Hut ab!“ Oder die derzeit geplante Änderungsreform des Kindschaftsrechts, das von der Justizministerin als „feministisches Gesetz“ postuliert wird, aber alle Gewaltschutzexpert*innen und feministische Frauenorganisationen nur die Köpfe schütteln. Künftig soll beispielsweise die Betreuungspflicht an den Unterhalt gekoppelt werden – das heißt sobald der Mann behauptet ein Drittel der Betreuung des Kindes zu übernehmen, muss er weniger Unterhalt zahlen. Das kostet Frauen Geld und wird unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung verkauft. Schon die erste Reform des Kindschaftsrechtes war frauenpolitisch der größte Rückschritt der letzten vierzig Jahre. Ich bin enttäuscht, dass überhaupt nicht auf die Forderungen von Expert*innen gehört wurde.

Heute habe ich durch meine Funktion das Gefühl ganz anders mitmischen zu können, was natürlich auch Verantwortung mit sich bringt: Ich habe die Möglichkeit bei Gesetzesentwürfen mitzuarbeiten und in einem Ministerium zu sitzen, in dem ich Ansprechpersonen habe, die viel Entscheidungsmacht haben. Da kann ich nicht groß die Protestfahne schwingen, aber ich sehe es als meine Aufgabe, den Standpunkt von Frauenrechten hartnäckig zu vertreten. Und dann muss ich mich auch trauen unangenehme Positionen einzunehmen. Wir brauchen Frauen, die sich wirklich was trauen und nicht Frauen, die bei der Politik oder in den Ministerien beliebt sein wollen. Heute erlebe ich schon oft – ich benenne es immer als Wohlfühlfeminismus – dass viele sich in erster Linie freundlich und sehr kompromissbereit geben, aber zu wenig bereit sind unangenehme Positionen auszuhalten und durchzukämpfen.

Was kritisieren sie konkret am aktuellen Gewaltschutzgesetz?

Andrea Brem: Da sind einmal die Fallkonferenzen, bei denen in Fällen akuter Gewaltdrohungen Opferschutzeinrichtungen gemeinsam mit der Polizei präventive Maßnahmen diskutieren und planen konnten, die 2018 unter Türkis-Blau grundlos abgeschafft wurden. Unter Türkis-Grün sind sie zwar wiederbelebt worden, doch nur die Polizei hat die Möglichkeit diese einzuberufen – mit der Konsequenz, dass sie kaum bis gar nicht mehr stattfinden.

Das andere ist die Täterarbeit, die meiner Meinung nach in die völlig falsche Richtung geht. Ich fordere seit zwanzig Jahren Täterarbeit, womit ich allerdings monatelange Antigewalttrainings meine, die Opferschutz orientiert sind. Das heißt während die Männerberatung mit den Männern, also den Tätern, arbeitet, arbeiten Frauenschutzeinrichtungen mit den Gewaltbetroffenen. Das, was jetzt unter sogenannter Täterarbeit eingeführt wurde, sind de facto sechs Stunden Täterberatung. Es gibt nicht einmal einen Austausch mit den Opferschutzeinrichtungen, wenn der Täter nicht zustimmt. Das bedeutet, wir haben fast keine Berührungspunkte. Das ist völlig falsch.

Und sonst? – Also irgendwelche Strafrahmen, die sich erhöht haben, die keinen Menschen interessieren, weil es eh zu wenige Verurteilungen gibt… Andererseits das was ein bisschen in Bewegungen gekommen ist, dass unsere jahrelange Forderung nach speziellen Ambulanzen, in die Frauen gehen können, wenn sie verletzt worden sind, wenigstens mal aufgegriffen wurde. Dort werden auch die Verletzungen angeschaut, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Das ist wichtig, weil es viele kleine Spuren gibt, die belegen können, dass das, was die Frau sagt, stimmt. Denn, wenn es keine Beweise gibt, kommt es nicht zur Verurteilung.
Generell ist das Problem, dass die letzten Gesetze immer vom Innenministerium ausgegangen sind – das ist die Perspektive der Polizei auf Opferschutz. Das ist eine wichtige Perspektive, das streite ich nicht ab, aber es ist nicht die Sicht der Opferschutzeinrichtungen. Stattdessen müssten sich die verschiedenen Player, d.h. Justiz, Polizei und Opferschutz ernsthaft zusammensetzen und wie damals bei der Wegweisung gemeinsam überlegen.

Seit kurzem sind Femi(ni)zide verstärkt zum Thema feministischer Kämpfe und politischer Auseinandersetzungen geworden. Welche Bilanz würden Sie in Bezug auf dieses Thema ziehen?

Andrea Brem: Der Begriff Femizid ist meiner Wahrnehmung nach von Medien erst vor relativ kurzer Zeit verwendet worden und ich glaube das geht mit einer feministischen Journalist*innen-Riege einher, die den Begriff aufnimmt und transportiert. Es ist wichtig, dass es auch im journalistischen Bereich Frauen gibt, die diese Themen aufgreifen und seriös und engagiert darüber berichten. Dabei finde ich auch wichtig, dass wir es geschafft haben die Art der Berichterstattung der Medien zu thematisieren. Es wird weniger Täter-Opfer-Umkehr à la: „weil sie ihn betrogen hat“ oder „weil sie ihn eben verlassen wollte“ betrieben. Es scheint zwar noch in vielen Artikeln durch, aber es ist mehr Bewusstsein dafür da.

Was ich aber auch beobachte ist ein Tenor, der der Meinung ist, dass eine Frau, die sich nicht an die Polizei oder andere Hilfseinrichtungen gewendet hat, oder sich nicht trennt, selber schuld sei. Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass es wahnsinnig schwierig ist den Weg der Trennung zu gehen und sich ein Leben aufzubauen. Die Männer sind fast immer finanziell bessergestellt, haben bessere AnwältInnen und bleiben nach der Trennung in den Wohnungen zurück. Die Frauen trauen sich dort ja auch gar nicht mehr hin, weil sie den Ort oft mit furchtbaren Erlebnissen verknüpfen. Oft wurden sie vom Gewalttäter zusätzlich von ihrem Freundeskreis isoliert. Diese Abhängigkeit führt auch dazu, dass die Frauen nicht gehen oder ihre Gewaltsituation nicht richtig erkennen. Mich macht es immer so betroffen, wenn ich merke, dass Frauen noch nie Hilfe gesucht haben. Man kann ja leicht sagen die Polizei, die Justiz, die NGO´s hätten versagt, aber es gibt wirklich Frauen, die ermordet werden und über deren Situation vorher niemand Bescheid wusste – maximal die Familie oder Freunde, die dann womöglich noch Gewalt bagatellisieren. Aber deshalb sind die Frauen nicht schuld, schuld ist immer der Täter. Da müssen wir als Frauenhäuser auch selbstkritisch schauen, dass wir Gewaltbetroffene noch besser abholen. Deshalb haben wir bei unserer letzten Kampagne versucht ganz niederschwellig zu kommunizieren; es sollte z.B. ohne Worte verstanden werden, um was es geht, um Sprachbarrieren zu überwinden.

Wie bewerten Sie die feministischen Kämpfe am ehemaligen Karlsplatz? Und was würden Sie jüngeren Feminist*innen heute mitgeben?

Andrea Brem: Also wenn ich darüber lese, habe ich immer ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht selbst dabei bin. Ich finde es toll, dass es das gibt. Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber dann denke ich mir, dass ich jetzt auch Mal ein bisschen Ruhe geben kann (lacht). Ich glaube, dass der feministische Aktionismus nicht ausbleiben darf, alleine schon, weil sich Frauen dadurch mit Frauenthemen auseinandersetzen und eine Solidarität und einen gemeinsamen Kampf entwickeln. Ich glaube aber auch, dass wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht immer wieder über Themen spalten.

Die Aktionen sind auch sehr gut für die Medienberichterstattung. Das ist eine Erfahrung, dass man immer schauen sollte, dass die Aktionen irgendwie medial begleitet werden. Und ich glaube schon, dass gerade dieses Zählen der Toten ein Bewusstsein schafft. Man muss nur aufpassen, dass die Frauen nicht auf die Tötung und auf die Anzahl reduziert werden und als Menschen verloren gehen. Und gleichzeitig sind die Zahlen so wichtig, weil sie der breiten Öffentlichkeit deutlich vor Augen halten: Bei 35 Frauenmorde im Schnitt der letzten fünf Jahre, das heißt drei Frauen pro Monat, das heißt in der Woche wird fast eine Frau ermordet. Dagegen müssen wir etwas tun!