Im ersten Interview sprechen wir mit Polly und Berta, zwei autonomen Aktivist*innen in Wien über ihre feministischen Organisierungen, aktionistische Erfolge und Misserfolge und über ihre Auseinandersetzungen mit patriarchaler Gewalt. Angefangen bei ersten Politisierungsmomenten, blicken die beiden auf die Gründung der Frauenpatrouille 1993 und weitere Formen feministischer Selbstbehauptung im Alltag und auf der Straße zurück. Sie berichten von internationalen Vernetzungen und Soli-Diskos, als solidarische Unterstützungs- und Austauschformate mit Genoss*innen aus Mexiko, Ex-Jugoslawien oder der Türkei. Aber auch künstlerische Aktionen, die sich kritisch mit der medialen Berichterstattung über Übergriffe und Femizide auseinandersetzten, prägten in ihren Augen die feministische Bewegung der 1990er und 2000er Jahre in Wien.
Berta und Polly lernen sich Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in Wien kennen. Während Berta erste politische Erfahrungen im universitären Umfeld sammelt, wird Polly in autonomen Zusammenhängen aktiv, wo sie sich schließlich gemeinsam feministisch organisieren. Was waren frühe Politisierungsmomente für euch, wie seid ihr zu Feminismus, Frauenbewegung und dazu gekommen, Frauenpolitik zu machen?
BERTA: Ich bin aus Niederösterreich und 1985 nach Wien gekommen. 1987 gab es einen großen Uni-Streik und ich habe ein paar Leute kennengelernt, die in Frauengruppen und im Frauenreferat waren – da hab ich mich angeschlossen und das erste Mal feministisch organisiert. 1991 haben wir dann eine Gruppe gegen Rassismus und Sexismus gegründet, seitdem bin ich in der Richtung unterwegs.
BERTA: Damals gab es den Begriff FLINTA noch nicht, wir haben immer von FrauenLesben (FL) und gemischten Zusammenhängen gesprochen.
Es hat immer wieder Übergriffe und Vergewaltigungen gegeben, auch innerhalb der Szene, bei Besetzungen, Konzerten oder auf Parties. Das war ein wichtiger Teil, sich eher praktisch und weniger theoretisch damit auseinanderzusetzen, z.B. mit Flugblattaktionen. Ich hab dann angefangen, feministische Literatur zu lesen. Anfang der 90er war ich dann immer mehr in FL-Zusammenhängen und da waren wir auch gemeinsam in der Gruppe gegen Rassismus und Sexismus.
BERTA: Für diese Frauengruppe gegen Rassismus und Sexismus haben wir eigentlich nie einen Namen gehabt, Fantifa als Konzept hat es in der Zeit noch nicht gegeben.
Es gab Auseinandersetzungen auf der Straße mit Faschos. Und für uns war gleich das Thema: Wir brauchen Stockkampf, Selbstverteidigung und Training, das war dann der Schritt, Wendo zu machen. Und dann ist das Gewaltthema auch über die persönliche Ebene hineingekommen, weil in der Gruppe einige mit sexueller Gewalterfahrung waren. Das war sehr wichtig zu thematisieren und damit umzugehen, auch auf der Straße. Das betrifft einen selber, das betrifft jede.
Wichtige Politisierungsmomente waren demnach einerseits sehr direkte Auseinandersetzungen mit Nazis auf der Straße und andererseits Erfahrungen sexualisierter Gewalt, auf die ihr auch körperlich, also mit Kampfsport oder Selbstverteidigungstrainings reagiert habt. Welche Rolle hat Wendo als explizit feministische Praxis für euch gespielt?
BERTA: Im Wendo setzt man sich ja auch mit sich selber auseinander, was man erlebt hat und wie man sich verteidigen und stärken kann. Insofern war das in unserer Politik schon Thema. Wir sind dann auch an Orte, wo patriarchale Gewalt stattgefunden hat gegangen und haben versucht Kontakte mit Frauen vor Ort zu bekommen und dort auch Wendo angeboten.
POLLY: Den 8. März und den 25. November haben wir immer als Anlass genommen und sind dann auch an Orte patriarchaler Gewalt gegangen. Ungefähr so wie vor zwei Jahren die FLINTA* Fahrrad Demo am 8. März, da sind wir an verschiedene Orte gefahren und haben Transparente aufgehängt. So was haben wir auch gemacht.
BERTA: Und ich glaub dieser Wendo Kontext, war in dem Thema Gewalt an Frauen auch ein wichtiger Zusammenhang. Einerseits Wendo ist ja dann auch nach außen gegangen, es hat Kurse gegeben, wo Frauen hingegangen sind, da haben auch welche angerufen. Das gab es ja auch in mehreren Städten in Österreich.
POLLY: Und die Drehungen hat es auch schon gegeben. So eine feministische Selbstverteidigung. Viel in Schulen und in Jugendzentren. Und mit denen haben wir ein gemeinsame Trainings-Camps, gemeinsame Turn-Camps gemacht. Trainings-Camps sagten wir nicht, weil das kriminalisiert werden könnte. 1995 wurde nämlich ein großer Teil der autonom /anarchistischen Szene überwacht und Ermittlungen geführt. Bei Hausdurchsuchungen wurden Fotos von Trainingscamps gefunden, Damit wurde eine Kriminalisierung versucht, die Zeitungen titelten sogar „Die autonome Szene bereitet sich vor“. Daher haben wir am Telefon nie von Training, sondern immer vom Turnen gesprochen. Die Telefone sind damals schon überwacht worden.
Welche weiteren Protestformen habt ihr neben Wendo noch genutzt, um patriarchale Gewalt zum Thema zu machen?
BERTA: Es war prinzipiell eine Politik von uns, auf die Straße zu gehen.
POLLY: Patriarchale Gewalt war schon lange ein Thema und 1993 haben wir die Frauenpatrouille gegründet, die dann ein ¾ Jahr unterwegs war. Damals hatte sich nach einer Vergewaltigung am heutigen Wienerberg-Teich eine Männer-Bürgerwehr gegründet, die der Überzeugung war, dass Männer Frauen beim Nachhausegehen schützen müssen. Das wollten wir nicht und dann haben wir die Frauenpatrouille gegründet.
BERTA: Ein ¾ Jahr haben wir uns einmal die Woche getroffen, haben Patrouille gemacht und sind herumgegangen. Es haben sich dann auch andere außerhalb von der Gruppe beteiligt, wir haben uns im FZ getroffen und unterschiedliche Gruppen sind in unterschiedliche Richtungen patrouilliert. Die Straße gehört uns! Die Idee war als Frauen präsent zu sein, Frauen zu begleiten und einfach mal schauen was auf der Straße passiert. Auch gegenüber Männern, weil in der Nacht sind ja meistens mehr Männer unterwegs. Und wir wollten stärker auftreten. So war unser Plan.
Wir haben dann auch Pickerl gehabt, die verteilt und verpickt worden sind. Und Sprayen – wir haben immer das gleiche Zeichen gesprayt, um in der Stadt sichtbar zu sein.
POLLY: Und es hat Spaß gemacht. Es war immer so halb klandestin, wie wir uns da abgesprochen haben und dann herumgestreunt sind und nebenbei haben wir uns auch unterhalten. Das war was Schönes.
Was uns schon stark klar war bei der Politisierung, dass eigentlich die meiste Gewalt zu Hause passiert. Das haben wir viel mitbekommen, wie Frauen ins FZ [FrauenMädchenLesben Zentrum, Anm.] gekommen sind und dort erzählt haben. Das war schon immer Tatort Wohnung.
Die Frauenpatrouille als Reaktion auf Männer-Bürgerwehren hat sich feministischen Selbstschutz auf die Fahnen geschrieben und war der Versuch, Frauen auf der Straße sichtbarer und sicherer zu machen. Welche Faktoren haben schließlich dazu geführt, dass sich die Frauenpatrouille aufgelöst hat?
BERTA: Ich glaub das war einerseits das Integrationspaket, das uns sehr viel Zeit gekostet hat, da waren wir sehr beschäftigt. Und mit der Patrouille, das war schon ein Thema, wir haben sehr viel Zeit investiert und es war lässig, aber dann kam die Fragen wie es weiter geht. Und die Frage ob das überhaupt Teil von autonomer Politik ist und wir haben es nicht auf eine andere Ebene gebracht.
Es hat dann auch nie die direkten Konfrontationen gegeben, oder dass wir Frauen heimbegleitet haben und wir hätten da dann einen anderen Schritt machen müssen. Und das haben wir verabsäumt.
Was mir noch eingefallen ist, ein wichtiges Thema – der Jugoslawien Krieg. Das war auch so nah. Und auch da das Thema Gewalt an Frauen. Wir sind dort auch hingefahren und die sind hergekommen. Das war schon auch ein großes Thema.
POLLY: Dass Vergewaltigung im Krieg ein Thema ist. Da haben wir uns mit den Frauen aus Belgrad und Zagreb organisiert für Veranstaltungen, Wendo Kurse…. Gewalt an Frauen war immer so ein Nebenstrang verwoben mit anderen Themen, z.B.: mit Arbeitsverhältnissen oder als Fluchtgrund. Also es war immer so ein bisschen zusammengedacht.
Ihr habt beschrieben, dass ihr im Kontakt mit Frauen aus Belgrad und Zagreb standet und den Jugoslawien Krieg unter dem Aspekt der Gewalt an Frauen zum Thema eurer politischen Arbeit gemacht habt. Hat es weitere internationale Vernetzungen mit Feminist*innen gegeben?
BERTA: In Wien hat es da z.B. die Menschenrechtskonferenz gegeben, das war 1993. Da waren viele NGOs und wir haben gesagt, da schauen wir hin, um Leute kennenzulernen. Und da haben wir die Defensoras aus Mexiko kennengelernt. Plaza de Mayo waren da im Prater und haben auch gleich eine spontane Kundgebung gemacht. Die sind auch nach Wien gefahren, um sich auszutauschen. Und den Kontakt hat es ziemlich lange gegeben.
POLLY: Wir haben auch nach Mexiko Kontakt gehabt, oder wie eine Frau in Saudi-Arabien gesteinigt wurde, weil sie ihren Chef, nachdem er sie vergewaltigt hatte, ermordet hat. Da haben wir eine Soli-Disko gemacht und den Angehörigen Geld geschickt.
BERTA: Ja, wir hatten viele Kontakte, es hat auch größere internationale Treffen gegeben.
Das heißt, neben inhaltlichem Austausch und gemeinsamen Protestaktionen waren die Soli-Diskos eine Form konkreter Unterstützung feministischer Genoss*innen auch außerhalb Österreichs?
POLLY: Die Soli-Disko, das war eine Veranstaltung, die hat es einmal im Monat im FZ gegeben, z.B. zu irgendeinem Land, wo was passiert ist, wie ein Frauenmord. Oder zum Beispiel zu Istanbul, wo das erste Frauenhaus gegründet worden ist. In der Verbindung Bildung und Spaß – es hat zuerst den Vortrag gegeben, manchmal was zu essen und dann wurde getanzt. Und das Geld ist dann dort hingekommen. Die Soli-Diskos waren immer gut besucht, dadurch hat man dann immer direkt was mitbekommen von woanders. Das war auch ganz schön und das hat es lange gegeben.
BERTA: Das war schon auch so eine Zeit wo viele Aktivist*innen auch herumgereist sind.
Viele eurer Aktionsformen, wie Wendo-Trainings, Demonstrationen und inhaltliche Veranstaltungen, waren explizit nach Außen gerichtet. Auch Medien, wie die FrauenLesbenNachrichten, Flugblätter und Radio-Interviews waren wichtige Sprachrohe für die Veröffentlichung und Verbreitung feministischer Debatten. Welche Auseinandersetzungen gab es Mitte der 90er zum Thema Femi(ni)zide? Wie wurde darüber diskutiert? Habt ihr damals von Femi(ni)ziden gesprochen?
POLLY: Nein. Ich glaub wir haben von Frauenmorden gesprochen. Ich kenn den Begriff erst von euch. Wir waren nicht so die Analytiker*innen in dem Sinn. Wir haben nicht so viel Theorie gelesen. Wir haben was getan, es ist eine Herausforderung gekommen und wir haben dann halt viel diskutiert. Und manchmal hat irgendwer ein Buch mitgebracht.
Wie habt ihr damals gegen Femi(ni)zide mobilisiert? Habt ihr Demos gemacht oder seid an die Orte gegangen, an denen sie stattgefunden haben?
POLLY: Ja, oder die Demos sind dort vorbeigegangen.
BERTA: Wir sind hingegangen, haben gesprayt oder Blumen hingelegt. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir versucht haben, Kontakt aufzunehmen. Wir haben nicht so mit den Leuten geredet.
POLLY: Mit Nachbar*innen. Zum Beispiel ist eine vorbeigekommen, wie wir die Blumen hingelegt haben, mit der haben wir gesprochen. Eigentlich wäre es richtig gewesen, wir wären dann im Haus herumgegangen und hätten gefragt, und es öffentlich gemacht und verbreitet.
Welche Gründe könnte es gegeben haben, dass über Femi(ni)zide so wenig gesprochen wurde?
POLLY: Ich hab jetzt wieder so alte Zeitungsfetzen gelesen, mit der Beziehungstat und der Eifersuchtstat, oder ‚Junge Frau war anlassig‘. Das ist immer schon so ein Bild gewesen, irgendwas war mit dieser Frau, also wird sie nicht ganz unschuldig gewesen sein. Und das erschwerte es noch für Angehörige das öffentlich zu machen und von irgendwelchen depperten Journalist*innen dann noch blöd befragt zu werden. Ich glaub das war damals so.
Gab es Versuche, die Medienberichterstattung aktionistisch aufzugreifen und feministisch zu kommentieren?
POLLY: Am 25.11., ich glaub 2006, da haben wir am 25. November ein Zeitungstheater veranstaltet. Zeitungstheater nach Augosto Boal, wo Zeitungsmeldungen, Überschriften oder Texte gesammelt werden und daraus ein Theaterstück gemacht wurde. Wir haben dann einen Monat lang, jede eine andere Zeitung, Standard, Krone, gesammelt und binnen vier Wochen ein super Theaterstück über Frauenmorde oder andere Drangsalierungen auf die Beine gestellt. Jede hat sich eine Rolle gesucht, der Text ist gesagt worden, aber wir haben es dann immer aufgelöst. Zum Beispiel sagt das Mädchen: ‚Ich such mir meinen Freund selber aus‘ oder ‚Ich lass mir den Mund nicht verbieten.‘ oder ‚Liebe ist nicht gleich Besitz‘. Und zum Schluss verbrennen wir die Zeitungen. Das war auch sehr spannend.
Und einmal haben wir bei irgend so einem Tag auf der Mariahilferstraße lauter weiße Hemden aufgehängt. Das war schräg, weil wir das den Leuten erklären mussten, warum da lauter weiße Hemden hängen. Wir wollten die Unbeflecktheit der Täter darstellen. Und zu einer Kundgebung haben wir lauter Meldungen gesammelt, z.B. ‚Mädchen schlug Täter in die Flucht‘, die haben wir gesammelt und auf der Bühne vorgetragen. Weil das oft untergeht, dass es Widerstand gibt und dass der auch gelingen kann. Das war auch auf der Mariahilferstraße, in den 2000ern.
Vor dem Hintergrund, was wir heute daraus lernen können – Was ist bei euren Aktionsformen gut und was ist weniger gut gelaufen?
BERTA: Die Frauenpatrouille ist sehr gut gelaufen, so eine Form war wirklich gut.
POLLY: Ich glaub das ganz Wesentliche ist, dass wir zu wenig für Leute außerhalb der politisierten Szene gehabt haben, wurscht in welchen Bereichen. Ich glaub das ist eine Schwäche. Ich denke mir, Veränderung wird es nur geben, wenn viele das wollen und das erkämpfen. Und dass das nicht einzelne Gruppen können, und Parteien sowieso nicht, wenn sie auch so tun. Aber das ist die größte Herausforderung bei der politischen Arbeit – und Widersprüche stehen lassen.
Seit zwei Jahren wird in Wien von Claim The Space und vielen weiteren feministischen Kollektiven nach jedem Femi(ni)zid in Österreich zum ehemaligen Karlsplatz mobilisiert, um dort den Ermordeten gemeinsam politisch zu gedenken und gegen patriarchale Gewalt zu protestieren. Wie blickt ihr auf die aktuellen feministischen Mobilisierungen und Zusammenschlüsse?
BERTA: Ich find das super. Ich find das auch gut, auch unser Podcast und Interview. Auch für mich, so als Einzelne, weil ich nicht mehr in einer politischen Gruppe bin.
Ich find das gut am Karlsplatz solche Treffen und solche Aktionsformen zu machen. Weil es ist dann halt schon ein Ermüdungsaspekt bei mir, auch dieses Thema. Ich hab dann auch irgendwann einen Schritt zur Seite gemacht und bin woanders hingegangen. Aber es ist so ein großes Thema und ich find das super, dass das jetzt andere machen und dass ich dann die Möglichkeit hab dort hinzukommen. Und das ist dann eine Möglichkeit für alle.
Auch die Möglichkeit mit der Geschichte, weil Geschichte ist total wichtig, und die Geschichte dann weiter tragen. Und auch für mich selber mitzubekommen, dass ich ja auch Geschichte bin, also jetzt im positiven Sinn. Man hat was zu erzählen und das ist wichtig, was ist da schon alles gewesen. Auf vielen Ebenen sollte man sich viel mehr austauschen. Insofern find ich das gut.
POLLY: Und ich find das irre cool, dass ihr das immer machts.
Und was ich total schön find, obwohl es immer schwer auszuhalten ist, ist das Gedenken. Das ist wirklich, manchmal denk ich mir muss das sein, aber ja es muss einfach sein, es ist total wichtig. Aber es ist manchmal schwer auszuhalten und oft muss ich rären.