Im Interview berichtet die Geschäftsführerin der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) Maria Rösslhumer von Protestaktionen engagierter Feminist*innen im Kampf gegen Femizide. Diesbezüglich analysiert sie die Verantwortung der Medien und nennt konkrete Strategien wie Gewaltbetroffene früh(er) erreicht werden können.
Rösslhumer wuchs in einer streng katholischen Familie in Oberösterreich auf. Schon früh setzte sie sich auch beruflich für marginalisierte Frauen ein. Ihr Interesse für Geschlecht und Machtverhältnisse vertiefte sie im Studium der Politikwissenschaften. Heute leitet sie den Verein AÖF und damit auch die Frauenhelpline gegen Gewalt und die Onlineberatung www.haltdergewalt.at, ist im Vorstand des Österreichischen Frauenrings und engagiert sich seit 1997 im europäischen Netzwerk WAVE (Women Against Violence Europe). Dort war sie bis 2017 auch Geschäftsführerin. Seit 2019 ist sie auch die bundesweite Gesamtkoordination von StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt.
Wie bist du zum Thema Gewalt gegen Frauen gekommen?
Leider begegnet einem dieses Thema immer wieder, das habe ich schon bei meiner ersten Arbeitsstelle mit Frauen mit Behinderungen gemerkt: Frauen werden ausgenutzt und sexuell ausgebeutet. Eine der Frauen hat es z.B. geschafft einen Job als Zimmermädchen in einem Hotel zu bekommen und ist dort vergewaltigt worden. Gewalt an Frauen war und ist sozusagen eine stetige Begleiterscheinung meiner Arbeit. Und leider auch im Privaten: Meine langjährige Freundin wäre eigentlich fast gestorben nachdem sie sich von ihrem Partner gentrennt hatte. Er wollte sie umbringen und hat sie mit einem Schrotgewehr angeschossen. Göttin sei Dank war sie schon weit genug weggelaufen, so dass sie nicht lebensgefährlich verletzt wurde. Das war für mich ein sehr prägendes Erlebnis, weil ich gemerkt habe: Frauen sind, besonders wenn sie sich trennen, in einer sehr gefährlichen Situation. Ich habe diese Geschichte mit meiner Freundin lange Zeit verdrängt, dabei hat sie auch einen Zusammenhang mit meiner eigenen: Die Tat ist am Land passiert und dieser Expartner war ein Jäger wie mein Vater. 1997 gab es einen Vorfall, bei dem im Burgenland ein Schüler eine Lehrerin erschossen hat. Dann hat sich die Aktion „Waffen weg im Haushalt“ initiiert, bei der sich u.a. Politiker*innen wie Barbara Prammer beteiligt haben. Damals habe ich mich auch schon engagiert und öffentlich dafür eingesetzt, dass es ein stärkeres Gesetz gegen Waffen geben soll, dass auch Jäger ihre Waffen zumindest einsperren müssen. Ich kann mich noch erinnern, dass sich meine Mutter immer große Sorgen gemacht hat, weil mein Vater auch so unbeschwert mit den Waffen umgegangen ist. Sie hat jedes Mal, nachdem er von der Jagd nach Hause gekommen ist, die Patronen rausgegeben. Ich habe mir damals die Frage gestellt: „Wie ist es, wenn Frauen sowieso schon von Gewalt betroffen sind und es zusätzlich noch Schusswaffen im Hause gibt?“ Die Bedrohung ist dadurch noch wesentlich stärker.
Als du 1997 begonnen hast, bei den autonomen Frauenhäusern im Bereich Gewaltschutz und -prävention zu arbeiten, welche Rolle hat das Thema Frauenmorde und Femizide zu diesem Zeitpunkt gespielt?
Damals wurde eher generell die Arbeit von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern thematisiert und die Flucht ins Frauenhaus. Die Zusammenarbeit mit der Polizei war ein relevantes Thema, mit dem meine Kolleginnen schon relativ früh begonnen haben. Ohne diese Kollaboration wäre es gar nicht gelungen das Gewaltschutzgesetz umzusetzen. Ich kann mich erinnern, dass Rosa Logar immer wieder erzählt hat wie sie und die Kolleginnen nach Meetings oft noch mit der Polizei auf ein Bier gegangen sind. Das war eine wichtige Arbeit, bei der sich die Barrieren auf beiden Seiten abgebaut haben. So entstanden gute Beziehungen, auch ins Innenministerium.
Ab wann würdest du sagen, dass Frauenmorde zu einem Politikum wurden?
Mit der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 haben die Gewaltschutzzentren und Frauenhäuser festgestellt, dass sich etwas verändert: Die Hochrisiko-Fälle, die schwere Gewalt und in letzter Konsequenz auch die Femizide haben extrem zugenommen. Das war für mich sehr einschneidend. Die wirtschaftliche Situation und die hohe Arbeitslosigkeit haben v.a. bei den Männern eine gewisse Unsicherheit hervorgerufen. Dies dürfte eine wesentliche Rolle in der Zunahme an Gewalt an Frauen und Frauenmorden gespielt haben.
Von 2014 bis 2017 kam es zu dieser eklatanten Verdoppelung von 19 auf 41 Morde im Jahr. Das war ein heftiger Sprung, von dem wir seither nicht wirklich runterkommen. In der Gesellschaft beobachte ich in den letzten Jahren eine tiefsitzende Frauenverachtung. Wir haben es mit einem gewissen Rechtsruck und Konservatismus zu tun, der die Frauenrechte nicht mehr wirklich ernst nimmt.
Die autonomen Frauenhäuser haben aktuell die umfassendsten Statistiken, wodurch deutlich mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Femizide gelenkt wird. Was war der Auslöser damit zu beginnen?
1992 hat man begonnen die Plätze zu zählen und wie viele Frauen jährlich in die Frauenhäuser flüchten. Vorher gab es zwar auch Berichte aus den einzelnen Frauenhäusern, aber noch keine gesamtösterreichische Zusammenschau und auch keine Zusammenschau der Polizeistatistik über Wegweisungen und von Frauenorganisationen. 2016 haben wir mit dieser umfassenderen Zählung auch der Femizide begonnen.
Initialzünder war vielleicht meine Arbeit beim europäischen Netzwerk WAVE (Women against Violence Europe), wo wir mit Ländern in Kontakt kamen, die bereits die Initiative zu zählen ergriffen hatten. V.a. eine Aktion hat mich damals sehr beeindruckt: Die Ausstellung Silent Witnesses, also stille Zeuginnen, in Italien. Auf einem großen Platz in Bologna wurde immer, wenn ein Frauenmord passiert ist, eine Frauenfigur aufgestellt. Am Ende war es ein richtiger Friedhof. Ein Mahnmal, von dem ausgehend auch andere Länder aktiv wurden. Die Kolleginnen aus der Slowakei haben begonnen, statt weißer Figuren wie in Italien, rote Figuren aufzustellen, damit noch mehr Aufmerksamkeit erzeugt wird. Ganz wichtig war auch, dass vor den Figuren eine Kurzbiographie der Frauen angebracht war, um den Silhouetten ein Gesicht und eine Geschichte zu geben. Seit 2013 können die Silent Witnesses Figuren mit Begleitprogramm als Wanderausstellung bei uns ausgeborgt werden. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir ähnlich wie in Italien, einen öffentlichen Platz haben, wo wir die Silent Witnesses stehen lassen können, aber vielleicht ist das Zukunftsmusik.
Gab es noch andere Strategien, um mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Gewalt gegen Frauen und v.a. Femizide zu richten?
Wir haben uns immer wieder bei Organisationen, die auf öffentlicher Ebene aktiv waren, angeschlossen: Z.B. eine Aktion im Rahmen vom Österreichischen Frauenring oder gemeinsam mit One Billion Rising, wo Frauenmorde immer wieder thematisiert wurden, aber der Fokus eben nicht nur darauf lag. Einmal haben wir auch eine Aktion mit der Künstlerin Angela Zwettler gemacht: Vor der Staatsoper wurde ein Mahnmal in Form einer Tafel mit der Aufschrift „Hellwach“ und dem Untertitel „bei Gewalt an Frauen“ errichtet. Es gab vereinzelte Aktionen, aber so effizient und in dieser Gemeinsamkeit wie heute mit Ni una menos und all diesen Frauen-Kollektiven sind wir früher eigentlich nicht aufgetreten.
Welche Strategien braucht es deiner Meinung nach, um weiterhin Aufmerksamkeit auf die Themen Gewalt und Femizide zu richten?
Die Medien spielen eine wesentliche Rolle. Ich bin froh, dass ihrerseits mittlerweile erkannt wurde, dass Femizide ein gravierendes Problem in Österreich sind und sie unsere Aussendungen und Appelle wirklich ernst nehmen. Auch wenn sie nicht immer so berichten, wie wir es gerne hätten, greifen sie das Thema zumindest auf. Wohingegen wir von der Politik kaum Unterstützung haben und v.a. Gleichgültigkeit ernten. Es gibt kein Wort der Empörung, keinen wirklichen Aufschrei, dass wieder eine Frau ermordet worden ist. Bei jeder Katastrophe sprechen Politiker*innen ihr Mitleid zumindest den Angehörigen gegenüber aus, bei Frauenmorden schweigen sie – auch die Frauenministerin. Diese Ignoranz gegenüber Frauen ist meiner Meinung nach sehr erschütternd und wirklich traurig.
Es entsteht der Eindruck, dass nur dort gelöscht wird, wo es am stärksten brennt, wie sich u.a. auch im Gewaltschutz-Paket der aktuellen Regierung zeigt. Wie bewertest du die darin enthaltenen Maßnahmen?
Man darf nicht vergessen, dass wir in Österreich gute Gesetze und Maßnahmen haben. Aber es fehlt einfach an der Umsetzung: Die ernsthafte Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und die ernsthafte Verfolgung von Gewalttätern.
Wie könnte die konkrete Umsetzung aussehen?
Erstens müssen wir überlegen wie wir generell Frauen früh(er) erreichen. In letzter Zeit ist mein Ansatz z.B. wieder mehr aus den Institutionen rauszugehen und Gemeinwesenarbeit zu betreiben. Ein Beispiel ist das Projekt „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“, wo wir in die Communities, in die Bevölkerung hineingehen und mit den Leuten reden. Über diese Schiene können wir vielleicht auch die betroffenen Frauen früher erreichen, weil sie in kleinen Gruppen leichter von ihren Erfahrungen erzählen oder sich vielleicht auch dem BILLA Verkäufer um die Ecke anvertrauen können. Je mehr Leute im Umgang mit Gewalt(betroffenen) geschult sind, umso besser. Wir haben gerade bei StoP angefangen, gezielt Männer mit ins Boot zu holen, damit auch sie Verantwortung übernehmen. Auch die Nachbarschaft spielt eine wichtige Rolle. Dazu haben wir einen Leitfaden herausgegeben und viele Leute haben uns v.a. während Corona angerufen, um sich beraten zu lassen, was sie in kritischen Situationen in der Nachbarschaft tun können. Wichtig ist es, dass sich die Leute gegenseitig unterstützen und dass man zur Nachbarin oder zum Nachbarn gehen kann und fragen kann: „Haben Sie das auch gehört? Was machen wir miteinander? Alleine traue ich mich das nicht.“ Man kann z.B. auch Aushänge in die Stiegenhäuser hängen mit den wichtigsten Tipps für Zivilcourage bis hin zu Telefonnummern.
Zweitens müssen wir die Frauen, die tatsächlich um Hilfe bitten, wirklich ernst nehmen. Seitens der Behörden müssen die Frauen oft noch von Pontius zu Pilatus laufen, damit sie überhaupt unterstützt werden. Auch das Problem des Victim Blamings bei Justiz und Polizei muss angegangen werden. Da heißt es dann: „Sie ist selber schuld“ und so wird Gewalt verharmlost. Hier braucht es einen präventiven Ansatz und Wissen muss nachgeschult werden.
Drittens muss der Gewalttäter zur Verantwortung gezogen werden. Sie müssen nach einer Wegweisung frühzeitig aufgegriffen, vielleicht auch eine Gefährlichkeitseinschätzung bis hin zur Strafverfolgung gemacht werden. Die Tatsache, dass viele Frauen eine Anzeige machen, aber diese Anzeigen mit verschiedenen Begründungen eingestellt werden, ist ein Freibrief für die Täter und eine Demütigung für die Opfer. Da muss nachgeschärft werden und zwar nicht mit diesen Täterberatungsstellen, wo Gewaltprävention in sechs Stunden abgehandelt werden soll.
Was sagst du abschließend zu den Protesten am ehemaligen Karlsplatz? Was würdest du jüngeren Feminist*innen aus deinen Erfahrungen mitgeben?
Ich glaube wir können, oder ich kann, nur von ihnen lernen. Ich bewundere sie alle, die jetzt gemeinsam auf die Straße gehen, um mit so einer Intensität zu kämpfen. Ich muss gestehen, ich würde gern mehr mitgehen, aber ich schaffe es nicht mehr. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr gehen und vielleicht auch, dass wir noch mehr gemeinsam an den Forderungen arbeiten und gemeinsam an die Politiker*innen herantragen würden. Und man muss schon sagen, dass sich Vieles in Wien abspielt, und die anderen Bundesländer oft zu wenig mitkriegen. Hier bräuchte es eine österreichweite Plattform. Das gibt es zum Teil schon, aber es ist nicht so effektiv. Den Zusammenschluss zwischen StoP und den Frauenkollektiven finde ich z.B. sehr wichtig. Wir sind mittlerweile mit 25 Standorten in ganz Österreich. Das ist ein gewisser Meilenstein. Ich habe dabei auch wirklich forciert, dass die pro-feministischen Männer bei diesen Kundgebungen auch teilnehmen. Denn wenn ein Mann beginnt, eine klare Position gegen Gewalt einzunehmen, kann das auch andere Männer ermutigen und in Zukunft vielleicht sogar Signalwirkung haben. Gerade durch Personen des öffentlichen Lebens oder Politiker.