Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet unsere Interviewpartnerin Bettina Zehetner bei der Beratungsstelle Frauen* beraten Frauen*, die 1980 in Wien gegründet wurde. Wir sprechen mir ihr über Ansätze ihrer Beratungstätigkeit und in welchen Aspekten sie sich als präventive und ganzheitliche Arbeit von der stärker gewaltschutz-orientierten Perspektive der Frauenhäuser abhebt. Bettina Zehetner erzählt, inwiefern sich die Diskurse über patriarchale Gewalt in Medien und Öffentlichkeit verändert haben und erinnert frühere kämpferische 8. März-Demonstrationen, sowie aktuelle Protest- und Aktionsformen von frauenpolitischen Einrichtungen, darunter die Besetzung des Frauenministeriums in den 00er Jahren.
Du selbst bist 1999 in die Frauenberatung eingestiegen. Was war der Gründungsgedanke von Frauen* beraten Frauen* als unabhängiger Beratungsstelle?
Bettina Zehetner: Die Frauenberatung wurde vor über 40 Jahren von fünf Kolleginnen gegründet, die im Gesundheits- und Sozialbereich gearbeitet haben – als Ergotherapeutin in einem Krankenhaus, als Pädagogin, als Juristin, als Psychologin, in der Jugendhilfe und in der Gynäkologie. Alle haben in ihren Bereichen große Missstände festgestellt. Frauen wurden da einfach nicht gut behandelt, objektifiziert, haben sexuelle Übergriffe erlebt. Sie wollten etwas Neues gründen, wo Frauen hinkommen können und keinen Übergriffen ausgesetzt sind. Was Frauenspezifisches, was Feministisches. Diese fünf Frauen haben dann „Frauen beraten Frauen“ gegründet, mit allerhand unbezahlter Vorarbeit. Von Anfang an waren alle Beratungstermine besetzt. Es gab nie mehr Beratungsangebot als Nachfrage, es war immer umgekehrt.
Mit welchen Themen setzt ihr euch seit damals in der Beratungsstelle auseinander?
Bettina Zehetner: Die Themen der Frauen sind im Großen und Ganzen gleichgeblieben, weil sich die Gesellschaft nur irrsinnig langsam emanzipiert. Nach wie vor geht es viel um Gewalt, Rechte in Lebensgemeinschaften und Ehe. Wie geht eine Trennung, ohne dass es eskaliert und gewaltvoll wird? Wie kann ich mir eine Existenz sichern – mit Kindern, mit Beruf und Ausbildung? Der Bedarf der Frauen ist ganz klar da und unserer Ansicht nach sollte die Politik das finanzieren, weil Frauenberatung auch Armutsprävention, Gewaltprävention ist.
Nimmst du einen politischen Willen zur Förderung eurer feministischen Basis- und Beratungsarbeit wahr?
Bettina Zehetner: Es ist eine tolle Arbeit, aber es ist auch anstrengend, immer wieder neue Dinge entwickeln zu müssen, um die Basisarbeit mitzufinanzieren. Am Anfang war ein unglaublich toller Push aus der Zeit mit Johanna Dohnal. Sie hat immer wieder autonome Frauen eingeladen und gefragt: Was sind eure Themen, was braucht ihr? Das gibt es heute teilweise auch noch, aber schon sehr viel bürokratisierter und vermittelter. Wir sind entsetzt, wenn eine Frauenministerin, die bei uns war, trotzdem noch sagt: „Ja, Beruf und Kinder zu vereinbaren ist kein Widerspruch, das ist möglich und selbstverständlich“, oder wenn sie sagt „Feminismus wäre keine Befreiung für Frauen, sondern Einschränkung und Belastung.“
Inwiefern und auf welchen Ebenen ist Gewalt Thema in der Beratungsstelle?
Bettina Zehetner: Gewalt in allen Formen und auf allen Ebenen ist praktisch immer Thema. Grad die Femizide waren der Anlass für unser letztes Projekt, das Handbuch und die Studie „Ist das schon Gewalt?“. Der Mediendiskurs ist einfach wirklich unerträglich, wo von „Eifersuchtsdrama“ und „Er musste sie töten“ nach wie vor lauter Schwachsinn geschrieben wird, obwohl es genug Leitfäden über geschlechtersensible gewalt-bewusste Berichterstattung gäbe. Und uns kommt vor, dass die Politik viel spricht, aber wenig tut.
Es wird nicht gesehen, dass unsere Arbeit grundsätzlich Gewaltprävention bedeutet. Weil wir durch das Benennen und das Sichtbarmachen, durch das gemeinsame Entwickeln von Strategien, wie sich die Frau besser schützen kann, Grenzen setzen oder sich trennen kann, tatsächlich täglich Gewaltprävention ausüben. Also tatsächlich ist in der Beratung jede Form der Gewalt sehr viel Thema – viel psychische Gewalt, institutionelle Gewalt, Polizeigewalt, Staatsanwaltschaften, sexualisierte Gewalt, ökonomische Gewalt, finanzielle Abhängigkeiten durch unbezahlte Sorgearbeit die ausgenutzt wird. Zunehmend auch Gewalt im Cyberraum, Online Stalking, Bilder, Namen und Adressen mit üblen Botschaften veröffentlichen. Spy Ware in eskalierten Trennungsmomenten ist fast schon gang und gäbe, das ist schon heftig. In Publikationen versuchen wir dann die theoretische Ebene mit der praktischen zu verknüpfen, um alles was in Beratungsprozessen und in der Teamdiskussion läuft, auch einzubinden.
Wie seid ihr als Beratungsstelle auf der einen Seite anderen Vereinen und Organisationen vernetzt und was unterscheidet eure Arbeit auf der anderen Seite von anderen Institutionen, wie etwa den Frauenhäusern?
Bettina Zehetner: Der Unterschied ist uns wichtig. Wir können den Frauen Zeit geben, das ist unser Luxus, der aber notwendig ist. Es braucht Zeit, um sich mit Gewalt auseinanderzusetzen. Sie dürfen erzählen so lange und wie sie wollen. Sie dürfen alle Themen, die sie sonst beschäftigen mit einbringen – Kinder, Beruf, Gesundheit, das soziale System, die Herkunftsgeschichte. Und in den Frauenhäusern ist häufig Gewaltschutz die oberste Priorität, weil die Personen gerade zu Hause rausgekommen sind. Und dann recht konkret lösungsorientiert: Was braucht sie jetzt um ein eigenständiges Leben führen zu können. Was braucht sie für sich? Was brauchen die Kinder? Existenzsicherung, Geld, Wohnung, Arbeit. Und wenn sie will: Trennung oder Scheidung und die rechtlichen Dinge. Das ist hier auch Thema, aber eingebettet in alles andere, also ein ganzheitliches Konzept. Weil ja viele der Frauen noch zu Hause wohnen.
Welche Aspekte zeichnen euren Beratungsansatz aus? In welchen Situationen kommen Personen zu Frauen* beraten Frauen*?
Bettina Zehetner: Zu uns kommen auch viele Frauen, die sich weniger in akuten körperlichen Bedrohungssituationen befinden. Tendenziell ist es eher so, dass es vor allem um psychische Gewalt, ökonomische, institutionelle und andere Gewaltformen geht und seltener um handfeste körperliche Übergriffe, obwohl es die natürlich auch gibt. Ein großer Schwerpunkt sind Frauen in Trennungen, die zwar schon getrennt wohnen, aber z.B. vom Partner gestalked werden, mühsamste Gerichtsverfahren haben, wo Klage gegen Klage, Anzeigen aller Art passieren, wo um Betreuungszeiten gestritten wird, wo der Kindesvater nicht zahlen will. Und da haben wir wirklich die Möglichkeit von allen Seiten, etwa juristisch, psychologisch, sozialarbeiterisch dran zu bleiben, auch vom Team her.
Zu uns kommen Frauen frühzeitiger mit Fragen: Ist das schon Gewalt? Oder ist das noch normal? Das ist der beste Zeitpunkt wo man noch viel präventiv arbeiten kann. Zurecht soll sie auf ihr eigenes Gefühl vertrauen und ihre Wahrnehmung schildern und wir entwickeln gemeinsam Strategien, wie sie sich bei Bedarf abgrenzt und schützt. Immer wieder kommen auch Frauen, die vor längerer Zeit eine Vergewaltigung oder Missbrauch in der Kindheit erlebt haben. Auch das ist hier gut möglich aufzuarbeiten.
Nimmst du Veränderungen in den Diskursen und Debatten um Gewalt an FLINTA*s wahr? Wie werden diese im Vergleich zu früher in Medien, in der Öffentlichkeit und Gesellschaft geführt?
Bettina Zehetner: Es gibt sicher klare Veränderungen. Ich erinnere mich an Erzählungen vom Beginn der Frauenhausbewegung Mitte, Ende der 1980er, wo es geheißen hat, bei uns gibt es das nicht, bei uns werden keine Frauen geschlagen, was wollt ihr? Ins Frauenhaus, da kommen ja keine Frauen hin. Natürlich war es am ersten Tag, wo nur ganz wenige davon wussten, schon voll und gleich darauf überfüllt, eh klar.
Das gibt es heute nicht mehr, dass das negiert wird. Aber es gibt jetzt wieder einen Backlash. Frauen, die sich trauen, sexualisierte Gewalt anzuzeigen, müssen ganz oft mit Verleumdungs- und Gegenklagen rechnen. Es ist ein Riesenproblem der Rechtsprechung, dass mangels Beweisen Gewalt meist nicht geahndet wird. Ein winziger Bruchteil wird verurteilt. Aber die Verleumdungsklagen gehen unglaublich oft durch, weil das dann manifest ist. Das ist ein massives Ungleichgewicht, dass wir anders in den Griff bekommen müssen – mit dem Rechtssystem, Rechtsprechung, durch Schulungen der Richter und Richterinnen, der Staatsanwälte, der Prozessführung überhaupt. Ich kann nicht andauernd der Person, die mutig genug ist, eine Anzeige wegen Gewalt zu erstatten, eine draufgeben und den Gewalttäter wieder stützen und schützen und das Opfer demütigen. Das geht einfach nicht.
Welche Aktions- und Protestformen findest du sinnvoll, um auf Gewalt gegen FLINTA* aufmerksam zu machen?
Bettina Zehetner: Es gibt ja diese Versuche an die Basis zu gehen, im Sinne von: Wir gehen in einen Stadtteil und machen vor Ort offene Beratungsstellen, wie STOP – Stadtteile ohne Partnergewalt. Das finde ich ganz bemerkenswert und sinnvoll. An untypische Orte gehen und dort das Thema sichtbar machen. Nach außen zu gehen und sichtbar zu sein, laut zu sein, ist enorm wichtig, auch mit kreativen Formen, die Medien aufnehmen und teilen und verbreiten. Das ist auch so ein Ding, dass Frauen immer mit Alltagsarbeit, Reproduktions- und Sorgearbeit beschäftigt werden, oder den Betrieb aufrechterhalten müssen, dass sie wenig zu diesen Protestformen kommen.
Aber es ist jetzt bei uns außer in der Öffentlichkeitsarbeit nicht so sehr der Schwerpunkt nach außen zu gehen, sondern schon eher diese sehr intensive Arbeit an der Entwicklung der Frau selber, einzeln und in Gruppen. Dass sie herkommen und dann 50 Minuten erzählen und fragen und weinen und schweigen und wüten und vielleicht nach einigen Monaten befreiter und mit mehr Handlungsspielraum rausgehen. Das verträgt sich manchmal nicht ganz mit dem Sprachrohr sein.
In welcher Form beteiligt ihr euch als Beratungsstelle an feministischen Protestformen, also dem 8. März oder dem 25. November, um auf das Thema patriarchaler Gewalt hinzuweisen?
Bettina Zehetner: Am 8. März erinnere ich die wichtigen Demos, damals noch relativ geschlossene Frauendemos. Da ist auf Bühnen in Statements und durch Mikrofone sehr deutlich zur Sprache kommen, was zur Sprache kommen soll. Dass da eine große Masse an Mädchen und Frauen geschlossen marschiert und die Bestärkung, die es bedeutet hat, wenn das endlich mal ausgesprochen wird und wir damit auf der Straße präsent sind und an unterschiedliche Orte gehen, das war eine starke, gute Sache. Dieses gemeinsame Gehen, sich Zeigen und sich auch Aussetzen und die Ermutigung. Und eben auch ältere und jüngere Frauen, das hab ich immer sehr toll gefunden.
Am 25. November oder den 16 Tagen gegen Gewalt gibt es mittlerweile ein unglaublich breites und reichhaltiges Programm. Da haben wir uns an vielen Vortragsabenden beteiligt, mit Fortbildungen, mit künstlerischen Auseinandersetzungen. Wir haben da als Verein immer wieder teilgenommen, vor allem in Form von Beratungsangeboten. Also wir stellen z.B. zwei Stunden zur Verfügung, wo wir zuerst einen Input geben, Gewaltschutzgesetze, Trennung, Scheidung. Was ist Gewalt? Ist das schon Gewalt? Unterschiedliche Gewaltformen. Und Frauen konnten dann vor Ort oder online Fragen stellen und diskutieren. Und dann der Verweis: möchten Sie mehr, möchten Sie Einzelberatung, möchten Sie Gruppengespräche, kommen Sie doch zu uns.
Erinnerst du dich an weitere Aktions- und Protestformen, an denen ihr und andere frauenpolitische Einrichtungen teilgenommen haben, um auf Gewalt gegen Frauen hinzuweisen?
Bettina Zehetner: Ich erinnere mich an eine Aktion vor dem Bundeskanzleramt in den 2010ern ungefähr, wo es tatsächlich darum ging, Femizide symbolisch zu zeigen, indem wir Frauen mit Leintüchern und Blutsymbolik auf den Boden legen, also recht heftig.
Und in den 00er Jahren hat meine Kollegin Marion Breiter mal im Rahmen der Schlaflosen Nächte das Frauenministerium besetzt, das war ganz wunderbar, ist heute auch nicht mehr denkbar. Die wurden wirklich auch empfangen, aha ok, sie wollen das besetzen, aha ok. Und sie sind dann wirklich über Nacht dortgeblieben und es gab keinen großen Aufruhr mit der Polizei. Das hat gute Öffentlichkeitsarbeit bewirkt und auch mehr Geld gebracht.
Und vor fünf Jahren hat die Wiener Neustadt Frauenberatungsstelle „Wendepunkt“ einen Zug besetzt und ist durch Niederösterreich gefahren, um das Thema so präsent zu machen. Das hab ich eine feine Idee gefunden. Dann gab es noch den „Mittagstisch“, wo Frauenberatungsstellen z.B. auf der Mariahilferstraße und einmal am Ring, einfach ihre Stände aufgestellt haben und gesagt haben: Wir sind da! Wir sind da für euch! Erzählt uns was ihr braucht und wir schauen ob wir ein Angebot für euch haben.
Wie blickst du auf aktuelle Protestformen gegen Gewalt an FLINTA*s?
Bettina Zehetner: Was ich von Ni Una Menos, Take Back The Streets und vielen anderen Aufmerksamkeit generierenden Protestformen erlebe, finde ich sehr toll. Für mich sprechen die eine deutliche Sprache, zielen genau in die richtige Richtung, wirken bestärkend, emanzipatorisch, kritisch. Das find ich großartig, weil ja immer behauptet wird, die jüngere Generation ist weniger feministisch. Also das find ich überhaupt nicht. Die Ni Una Menos-Bewegung, die Demonstrationen anlässlich jedes Femizid, oder die Take Back The Streets Bewegung empfinde ich als genial und auch sehr sichtbar. Generell denke ich, das was gemacht wird, ist absolut wichtig. Generell mehr davon!